Stammtisch an der Croisette

Cannes · Am Mittwoch beginnt in Cannes die 67. Ausgabe des Filmfestivals. Der Wettbewerb hält sich mit Überraschungen zurück: Mit Ken Loach, Mike Leigh und David Cronenberg reisen alte Bekannte an – und das deutsche Kino glänzt mit Abwesenheit.

Eigentlich galt Fatih Akin als halbwegs sicherer Kandidat, die deutsche Durststrecke im Cannes-Wettbewerb nach einer gefühlten Ewigkeit zu beenden. Doch kurz bevor Festival-Chef Thierry Frémaux vor einigen Wochen das Programm des 67. Festivaljahrgangs bekannt gab, zog der Regisseur seinen eingereichten Film zurück und erklärte das in einer Pressemitteilung mit "persönlichen Gründen". Was konkret hinter diesem Rückzug steckte? Darüber haben Kritiker eifrig spekuliert. Wurde Akin vielleicht doch nur ein Premierenplatz in der Sektion "Un Certain Regard" angeboten? In dieser Nebenreihe liegt es nun am Cannes-Veteranen Wim Wenders für ein bisschen deutsche Festival-Präsenz zu sorgen - mit der Fotografen-Doku "The Salt of the Earth". Denn sieht man mal von vier Ko-Produktionen ab, hat es auch diesmal wieder kein deutscher Film in die Wettbewerbsauswahl geschafft.

Im Festival von Cannes, das am Mittwoch mit der Filmbiografie "Grace of Monaco" mit Nicole Kidman als Grace Kelly beginnt, konkurrieren 18 Kandidaten um die Goldene Palme. Die Beiträge stammen schwerpunktmäßig aus Europa, dazu kommen gleich drei aus Kanada, zwei aus den schwach vertretenen USA, sowie jeweils einer aus Asien und Afrika. Nachdem zuletzt immer wieder kritisiert wurde, dass der Wettbewerb fast eine geschlossene Männergesellschaft sei, tauchen diesmal immerhin die Filme zweier Frauen auf: die Teenager-Liebesgeschichte "Futatsume no mado" von der Japanerin Naomi Kawase und das italienische Debüt "Le Meraviglie" von Alice Rohrwacher. Über die Palme entscheidet eine neunköpfige Jury erstmals unter dem Vorsitz einer Frau - der neuseeländischen Filmemacherin Jane Campion, die in Cannes mit "Das Piano" die Goldene Palme gewann.

Vom Türken Nuri Bilge Ceylan bis hin zum Franzosen Olivier Assayas stammen zwei Drittel der Beiträge von etablierten Autorenfilmern, die bei dem Festival schon mindestens einmal ausgezeichnet wurden. Der 77-jährige Ken Loach hat mit "Jimmy's Hall" seinen letzten Spielfilm angekündigt und geht in direkte Konkurrenz mit Mike Leigh, einem weiteren großen britischen Filmemacher, der sein Biografie des Malers William Turner zeigt. Derweil verpacken die mehrfach dekorierten Dardennes-Brüder diesmal ihr sozialkritisches Kino in "Deux jours, un nuit" in einen Thriller mit Marion Cotillard. David Cronenberg nimmt mit Robert Pattinson die US-Traumfabrik in Los Angeles satirisch unter die Lupe.

Während Schauspieler Tommy Lee Jones mit "The Homes-man", seinem zweiten Film als Regisseur, mit einem Western durch den Palmen-Wettbewerb streift, taucht mit "Moneyball"-Regisseur Bennett Miller einer der wenigen Cannes-Newcomer auf. In "The Foxcatcher" lässt er Komiker Steve Carrell seine dunkle Seite ausleben.

Die unbekannten Größen also sind diesmal rar. Mehr als die Hälfte der Auserwählten sind verlässliche Cannes-Routiniers und Kinomeister, die dem Festival teils seit Jahrzehnten verbunden sind - das darf man kritisieren. Denn kann es in solch einer grundsoliden Nummer-Sicher-Konkurrenz mit erhöhtem Altersdurchschnitt Überraschungsmomente geben? Oder räkelt sich das Festival damit zu bequem im Terrain des Erwartbaren? Mit der 83-jährigen Nouvelle-Vague-Legende Jean-Luc Godard, der sein 3D-Experiment "Adieu au langage" zeigt, könnte ausgerechnet der älteste Palmen-Konkurrent für einen unberechenbaren Auftritt sorgen. Vielleicht übernimmt mit dem 25-jährigen Kanadier Xavier Dolan auch der jüngste Wettbewerbsteilnehmer mit seinem Drama "Mommy" diesen Job. Oder gelingt dem Franzosen Michel Hazanavicius ("The Artist") mit "The Search" eine große Überraschung?

Ja, es gibt immerhin ein paar Kandidaten, denen man den Gegenbeweis zutraut, dass es nicht nur auf hohem Niveau im eigenen Saft schmort. Und vielleicht sogar einen, mit dem man gar nicht rechnet.

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