Sprachgewaltig und furchtlos

Istanbul · Yasar Kemal war einer der bedeutendsten türkischen Autoren: ein Meistererzähler und ein politischer Aktivist, der für seine Überzeugungen mehrfach im Gefängnis saß. Am Samstag starb er mit 91 Jahren in Istanbul.

Schreiben verstand Yasar Kemal stets auch als einen Akt der Revolte. Er attackierte die Ausbeutung armer Bauern und die Kurdenpolitik - und landete immer wieder vor türkischen Gerichten. Nun ist der kurdischstämmige Schriftsteller tot. Zur Welt kam er 1923 als Kemal Sadik Gökceli im südanatolischen Bergdorf Hemite - wann genau, ist nicht klar. Yasar Kemal war sein Schriftsteller-Pseudonym.

So begann ein kämpferisches, oft gefährdetes, reiches Leben. Kemal wurde neben dem jüngeren Orhan Pamuk zum bedeutendsten türkischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Der hoch begabte Junge hatte keine leichte Jugend: "Wir standen bis zu den Knien in der Armut", berichtete er einmal. Bei einem Unfall verlor er sein rechtes Auge, als Fünfjähriger musste er zusehen, wie sein Vater in der Moschee ermordet wurde. Aber schon mit acht, neun Jahren trug Kemal selbst verfasste Gedichte und Lieder vor.

Er hatte viele Jobs, war Hirte, Wasserträger, Fabrikarbeiter, bis er 1951 zur Istanbuler Zeitung "Cumhuriyet" ("Republik") kam. Hier schrieb er gesellschaftskritische Reportagen. 1963 wurde er mit 18 weiteren Journalisten entlassen - eine politische Säuberung. Im Laufe seines Lebens mehrfach angeklagt, musste er vier Mal ins Gefängnis: mal als Kommunist, mal als kurdischer Separatist. 1955 erschien "Memed mein Falke", Kemals bis heute bekanntester Roman, der in über 40 Sprachen übersetzt wurde. Es ist eine Robin-Hood-Geschichte: Memed, ein Bauernjunge, wird zum Räuber, er kämpft gegen die Gewaltherrschaft eines Großgrundbesitzers. Als Kemal 1997 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, sagte Günter Grass in seiner Laudatio über Memed: "Eine zwiespältige Gestalt, die die Armen hoffen lässt und dennoch Schrecken verbreitet, ein Held wider den Terror des Unrechts, in dem sich die Ursachen und die Wirkung des gegenwärtig mörderischen Terrorismus spiegeln."

1995 attackierte Kemal in einem Essay im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" die türkische Kurdenpolitik. Im Krieg gegen die Kurden seien "Hunderttausende vertrieben worden, die halb tot vor Hunger und Elend umherziehen", schrieb er. Wegen "Volksverhetzung" wurde Kemal daraufhin zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt, auf Bewährung. Überraschend erhielt er 2008 den Großen Türkischen Staatspreis, den er nach langer Bedenkzeit annahm: Er hoffe, "dass sich allmählich ein Weg zum Frieden in unserer Gesellschaft öffnet", erklärte er. Diese Hoffnung erfüllte sich zwar nicht, aber Kemal lebte nach langer Zeit im Exil in den vergangenen Jahren wieder in Istanbul .

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