"Justizskandal" in Istanbul

Istanbul. Der Kölner Schriftsteller Günter Wallraff sieht einen Zusammenhang zwischen dem Vorgehen der türkischen Behörden gegen Dogan Akhanli und dessen Engagement in der Frage des türkischen Völkermords an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Seine Trilogie "Die verschwundenen Meere" zeichnet die türkische Geschichte des 20. Jahrhunderts kritisch nach

Istanbul. Der Kölner Schriftsteller Günter Wallraff sieht einen Zusammenhang zwischen dem Vorgehen der türkischen Behörden gegen Dogan Akhanli und dessen Engagement in der Frage des türkischen Völkermords an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Seine Trilogie "Die verschwundenen Meere" zeichnet die türkische Geschichte des 20. Jahrhunderts kritisch nach. Von einem "Rachebedürfnis bestimmter Justizkreise" sprach Wallraff im Deutschlandradio Kultur. Die Armenierfrage sei schließlich "immer noch eine offene Wunde in der Türkei". Akhanli saß nach dem Militärputsch von 1980 in der Türkei mehrere Jahre als politischer Häftling im Gefängnis. 1989 soll er, zwei Jahre vor seiner Flucht nach Deutschland, an einem tödlichen Raubüberfall in Istanbul beteiligt gewesen sein. Auf Grundlage dieses Vorwurfs wurde er jetzt verhaftet, als er seinen kranken Vater besuchen wollte. In Deutschland war Akhanli zunächst als Flüchtling anerkannt und später eingebürgert worden; seine türkische Staatsbürgerschaft verlor der in Köln lebende Autor. Möglicherweise betreibe die türkische Justiz nun "politischen Revanchismus gegen einen ehemaligen missliebigen Bürger", befand die Organisation "Recherche International", bei der Akhanli mitarbeitet. Nach Angaben von Akhanlis Anwalt Haydar Erol ist das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gelinde gesagt merkwürdig. Andere Tatverdächtige in dem Fall seien bereits in den 90ern freigesprochen worden, nicht aber Akhanli. Auch stützt sich die Anklage auf einen Zeugen, der inzwischen mitteilte, seine Aussage über eine Tatbeteiligung von Akhanli sei ihm damals unter Folter abgepresst worden. Andere Zeugen sagten nach Akhanlis Verhaftung aus, sie könnten den Schriftsteller nicht als Täter identifizieren. Die Anklage habe diese entlastenden Entwicklungen nicht zu den Akten genommen und sie auch dem zuständigen Richter nicht mitgeteilt, kritisierte Erol im Gespräch mit unserer Zeitung. Der Richter wies deshalb die Einsprüche gegen den Haftbefehl zurück. Inzwischen hat der Staatsanwalt seine Anklageschrift an ein Istanbuler Schwurgericht geschickt. Dieses muss nun entscheiden, ob es die Anklageschrift zurückweist. gü

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort