Thiagos langer Weg

München · Just in dem Moment, da bei Bayern München fast nur über Verletzte geredet wird, ist er zurückgekehrt: Auf Thiago ruhen im Viertelfinal-Hinspiel der Königsklasse in Porto viele Hoffnungen. Er war ein Jahr lang verletzt.

Zum Geburtstag bekam Thiago Alcántara ein blaues Auge. Am Samstag, als er 24 wurde, wollte er im Bundesliga-Heimspiel mit Bayern München gegen Frankfurt mit dem Ball am Fuß die Richtung wechseln. Er sah Eintracht-Spieler Stefan Aigner hinter ihm nicht. Die Köpfe knallten zusammen. Thiago blieb mit einer Risswunde über dem Augenlid zurück. Noch heute sieht das blutunterlaufene Auge nach einer schönen Geburtstagsfeier aus. War es wirklich, beteuert Thiago: "Das Spiel gegen Frankfurt war eine angemessene Feier. Das reichte, da musste ich abends nicht mehr feiern."

Ein Spiel zum Einrahmen

Wieder Fußball zu spielen ist für Thiago ein Fest. Fast genau ein Jahr hat er nach einem Innenbandriss im Knie auf seine Rückkehr warten müssen, weil das Band während des Reha-Trainings zwei Mal erneut riss. "Dieses Spiel war eines zum Einrahmen", sagt er zur ersten Partie von Beginn an nach zwei Kurzeinsätzen zuvor. Thiago, spanischer Nationalspieler, Sohn des brasilianischen Weltmeisters Mazinho, hat einen Hang zu blumigen Worten. Diesmal schien sein Pathos angemessen: "Dieses Spiel wird immer in mir bleiben."

Die Ironie des Fußballs will es, dass Thiago just in dem Moment seine Rückkehr feiert, da bei den Bayern fast nur über Verletzungen geredet wird. Im Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League heute beim FC Porto (20.45 Uhr/ZDF ) fehlen Arjen Robben , Franck Ribéry , Bastian Schweinsteiger , David Alaba, Javi Martínez und Medhi Benatia.

Mehr als ein anderer Spieler personifiziert Thiago das berühmte, samtene Pass-Spiel unter Trainer Pep Guardiola. Es hatte etwas Bezirzendes, als er am Samstag vom Anpfiff weg den Ball wieder mit einer Art Streicheln spielte. Ein Fußball-Publikum drückt seine Gefühle in der Regel derb aus, aber in dem Moment, als Thiago - ein Jahr danach - zum ersten Mal, vom Gegner bedrängt, den Ball mit der Fußspitze aus der Luft holte und flach weiterpasste, klatschten 75 000 feinfühlig.

Selbstverständlich war das eine Jahr ohne Spiel noch sichtbar. Die Fitness fehlt noch. Aber Thiago forderte den Ball, hatte ihn ständig, passte, nahm ihn wieder entgegen, passte weiter. Die dominante Figur des Spiels. Als knüpfe er übergangslos an den 29. März 2014, sein letztes Spiel an. Münchens Ersatztorwart Pepe Reina muss lachen, als er auf Thiagos sofortige Präsenz angesprochen wird: "Er kann gar nicht anders spielen, als gewagt und schön zu passen. Er ist ein Schlüsselspieler für uns, ein großer Teil unseres Erfolgs, weil er anders ist. Weil sein Talent in unserer Mannschaft einzigartig ist."

In der Wahrnehmung war Thiago in Guardiolas erster Saison in München der Spieler, der uns den schönen Fußball aus Barcelona brachte. Wir alle haben seine Auftritte in den ersten Monaten 2014 in Erinnerung, etwa als er einen Bundesliga-Rekord mit 206 Ballkontakten in einem Spiel aufstellte. Tatsächlich spielte Thiago nur zwei, drei Monate richtig mit. Er hatte sich im Herbst 2013 ein Band im Sprunggelenk gerissen, der Knieschaden folgte. Die Verletzungsserie kam sie nicht aus heiterem Himmel.

Versicherung war Risiko zu hoch

Eine private Krankenversicherung weigerte sich, Thiago nach dem Wechsel vom FC Barcelona nach München im Sommer 2013 aufzunehmen. Laut eines Beteiligten, weil sie vom Verschleiß in Thiagos Knien wusste und das Risiko zu hoch war. In Deutschland zahlt der Arbeitgeber bei einer Erkrankung sechs Wochen lang das Gehalt weiter, danach springt die Versicherung mit Krankengeld ein.

Weil Thiago, ohne privaten Versicherer, von der gesetzlichen Krankenkasse nur einen Bruchteil ersetzt bekam, zahlte der FC Bayern ein Jahr lang aus seiner Kasse das Gehalt. Ein seltenes Liebesbekenntnis. Aber Thiago gehört zu den Fußballern, über die man auch bei einer Millionengage leicht sagt: Er ist sein Geld wert. Er macht, nicht nur an seinem Geburtstag, das Fußball-Spiel für alle, die zuschauen, zu einem Fest.