Schwestern im unerforschten Land: Dorothee Elmigers Debüt

Saarbrücken. Die junge Schweizerin, die in Leipzig und Biel Literatur studiert hat, wurde für einen Auszug aus ihrem Romandebüt Ende Juni beim Bachmann-Preis in Klagenfurt mit dem Kelag-Preis bedacht. Elmiger erzählt in ihrer verknappten Prosa von den Schwestern Margarete und Fritzi Stein, Töchter des Polizeikommandanten und einer "abtrünnigen Frau"

Saarbrücken. Die junge Schweizerin, die in Leipzig und Biel Literatur studiert hat, wurde für einen Auszug aus ihrem Romandebüt Ende Juni beim Bachmann-Preis in Klagenfurt mit dem Kelag-Preis bedacht. Elmiger erzählt in ihrer verknappten Prosa von den Schwestern Margarete und Fritzi Stein, Töchter des Polizeikommandanten und einer "abtrünnigen Frau". Sie sind Übriggebliebene ihrer Generation, leben in einer durch einen infernalischen Brand in einer Kohlemine völlig zerstörten Landschaft - eine bedrohliche Mischung aus gefängnisähnlicher Industriewüste und einem apokalyptischen Vorhof der Hölle.

Die jungen Frauen bewegen sich als Suchende durch Elmigers dunkles Untergangspanorama. Margarete liest alles, was sie zwischen die Finger bekommt, während Fritzi ausdauernd das verödete Umland erkundet. Hinter dem Entdeckergeist verbirgt sich die Suche nach den eigenen Wurzeln. Margarete stößt bei ihrem Lesemarathon auf eine Landkarte von 1823, auf der ein Fluss namens Buenaventura auftaucht - versehen mit dem Hinweis "Unerforschtes Land". Eine wegweisende Stelle: Die Suche nach dem offensichtlich verschwundenen Fluss wächst sich bei den Schwestern zur Manie aus ("Temporär unsichtbar bedeutet nicht inexistent"). Mit jugendlichem Pioniergeist wollen sie alles erforschen in ihrem kargen Lebensraum, der wohl einst eine blühende Kohlelandschaft war und nun nur noch die Farben "braun, olive und schwarz" zeigt.

Die Welt besteht bei Dorothee Elmiger nur noch aus Bruchstücken, die Schwestern betätigen sich wie Beckett-Figuren als Verfalls-Chronisten. Dabei bedient sich die Autorin immer wieder einer ausgefeilten Montagetechnik, lässt Gedanken der Schwestern mit Textpassagen von Goethe, Rosa Luxemburg, Lenin, Robert Walser und anderen verschwimmen. Hier wird ganz gezielt mit Anspielungen und Querverweisen gearbeitet. Dabei wirkt der Text dennoch nicht wie am Reißbrett entstanden, sondern hat sich eine jugendlich-ungestüme, fast spielerische Note bewahrt.

"Wir siedelten uns an zwischen Abraum und Schutt, wo der Aussatz der Stadt blühte, die Metastasen der Industrie." Kein Elmiger-Satz, sondern eine Passage aus Wolfgang Hilbigs 1991 erschienener Erzählung "Alte Abdeckerei", in der auch ein zugrunde gehender Fluss eine zentrale Rolle spielte. Allzu fern liegt die Vermutung nicht, dass Elmiger, in Sujet und Tonfall vom Werk Hilbigs beeinflusst sein könnte. Ihr gelingt ein Debüt abseits der ausgetretenen Mainstreampfade.

Dorothee Elmiger: Einladung an die Waghalsigen. Dumont, 143 Seiten, 16,95 €

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