Beziehung als Kammerspiel über knisternde 90 Minuten

Saarbrücken. Mögen später erschienene Briefe zwar einen Schatten auf den 1929 geschlossenen "Liebespakt" zwischen Sartre und Beauvoir werfen, nehmen diese doch den damaligen Bekenntnissen und Beschwörungen nichts von ihrer Energie

Saarbrücken. Mögen später erschienene Briefe zwar einen Schatten auf den 1929 geschlossenen "Liebespakt" zwischen Sartre und Beauvoir werfen, nehmen diese doch den damaligen Bekenntnissen und Beschwörungen nichts von ihrer Energie. "Ich liebe Sie mit aller Kraft" - "Sie sind alles für mich" - "Ich bin außer mir vor Leidenschaft". Mit Kriegsbeginn und der Einberufung Sartes tritt die Beziehung in eine neue Phase ein. "Ohne den Krieg hätte ich seine Liebe zu mir nie erkannt", schreibt Simone de Beauvoir in ihr Tagesbuch, "ich war dabei abzukühlen." Später wird sie bei Sartres Bekenntnis "Wenn ich die Frau verführt hatte, hatte ich sie am Hals. Das hatte ich nicht vorgesehen", vor Eifersucht glühen - das wiederum hatte de Beauvoir nicht vorgesehen. In den Briefen teilen sie sich alles mit: Ihre Sehnsucht nacheinander, philosophische Gedanken, Banales, Alltägliches, aber auch erotische Begegnungen mit anderen Frauen (Sartre) und anderen Männern und Frauen (Beauvoir). Sie schildert eine Begegnung im Zugabteil mit vier Männern, von denen einer ihr während des Schlafes die Knöchel massiert. Mehr ist wirklich nicht passiert? Wir erfahren es nicht. "Ich fühle mich wie ein Schwein", gibt Sartre zu. Seine verwirrenden Affären werden eine ernsthafte Drohung für den einst geschlossenen Liebespakt. Wer mit wem und warum? Koch und Reitz verstehen es, mit großer Empathie die Facetten einer Beziehung herauszustellen, die durch äußerste Nähe und gleichzeitig absolute Individualität gekennzeichnet war - eine explosive Mischung. Fließend sind die Übergänge zwischen Lesungen aus Briefen und Tagebüchern, Szenen mit betörenden Liebeserklärungen, in denen sich die Körper Rücken an Rücken aneinander schmiegen, und nüchternen Kommentaren. Bettina Koch und Jürgen Reitz gelingt mit ihrer Textauswahl das scheinbar Unmögliche: Die fünfzig Jahre währende Beziehung durch die Verdichtung auf eine Phase für den Zuschauer transparent zu machen, ein Kammerspiel, knisternde 90 Minuten lang, das der Philosophie des Existenzialismus und dem Beziehungsideal der beiden Personen als Kontrapunkt eine schonungslose Realität entgegensetzt. kjsWieder am 17. April, 19.30 Uhr, in der Frauenbibliothek Saarbrücken, Bleichstraße.

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