Selbstbestimmung beim Sterben

Berlin. Die mehr als sechs Jahre lange Kontroverse um Patientenverfügungen hat ein Ende. Nach langem Ringen hat der Bundestag gestern eine gesetzliche Regelung für solche Verfügungen auf den Weg gebracht. Die Mehrheit der Abgeordneten (317) stimmte für einen von drei vorgelegten fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfen, wonach der Patientenwille oberste Priorität hat

Berlin. Die mehr als sechs Jahre lange Kontroverse um Patientenverfügungen hat ein Ende. Nach langem Ringen hat der Bundestag gestern eine gesetzliche Regelung für solche Verfügungen auf den Weg gebracht. Die Mehrheit der Abgeordneten (317) stimmte für einen von drei vorgelegten fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfen, wonach der Patientenwille oberste Priorität hat. Dies gilt unabhängig von Art und Stadium der Krankheit — also auch dann, wenn die Krankheit nicht zwingend zum Tod führt.

233 Parlamentarier stimmten gegen den Entwurf, fünf enthielten sich. Nach dem Gesetzentwurf einer Parlamentariergruppe um den SPD-Rechtsexperten Joachim Stünker hat die Einschätzung des Patientenbetreuers — oftmals ein enger Angehöriger — besonderes Gewicht. Arzt und Betreuer müssen sich jedoch einig sein, dass der festgelegte Patientenwille in der aktuellen Situation gilt. In Konfliktfällen wird das Vormundschaftsgericht eingeschaltet.

Die Patientenverfügung muss laut Entwurf schriftlich vorliegen. Eine ärztliche Beratung vor dem Abfassen ist nicht vorgeschrieben, wird aber empfohlen — ebenso wie eine regelmäßige Aktualisierung der Verfügung. In einer Patientenverfügung legen Menschen vorab fest, welche medizinischen Maßnahmen sie wünschen oder ablehnen, wenn sie sich infolge eines Unfalls oder einer Krankheit nicht mehr äußern können. Um die rechtliche Geltung der rund neun bis zehn Millionen Patientenverfügungen in Deutschland gab es über Jahre eine heftige Kontroverse. Eine klare rechtliche Grundlage fehlte bislang.

Das neue Gesetz soll nun Rechtssicherheit schaffen. "Jeder Patient hat das Recht, sich für oder gegen eine medizinische Behandlung zu entscheiden", sagte Stünker. Auch wenn sich ein Mensch nicht mehr äußern könne, dürfe nicht an seinem Willen gezweifelt werden. Der Mitinitiator des Stünker-Entwurfs, Michael Kauch (FDP), bezeichnete die Regelungen als "wichtigen Baustein für Selbstbestimmung am Lebensende". Andere Unterstützer betonten, die Klarstellung sei auch im Interesse von Pflegern und Ärzten, die ebenfalls Rechtssicherheit bräuchten.

Den Parlamentariern lagen gestern drei konkurrierende Gesetzentwürfe zur Abstimmung vor. Die strengsten Vorgaben machte der Entwurf einer Abgeordnetengruppe um Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU). Die Parlamentarier wollten unter anderem in bestimmten Fällen eine ärztliche Beratungspflicht durchsetzen.

Zusätzlich gab es einen Vorstoß einer Abgeordnetengruppe um den CDU-Politiker Hubert Hüppe, wonach es keine gesetzliche Verankerung geben sollte. "Das Sterben kann man nicht bis in die letzte Minute regeln — schon gar nicht mit Gesetzen", sagte Hüppe. Er habe große Zweifel, dass ein Gesetz die Situation besser machen könne als sie jetzt sei. Es sei nicht möglich, alle denkbaren Situationen vorauszusehen.

Auch die Bundesärztekammer äußerte sich kritisch. Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe sagte, die vielen individuellen Situationen von Schwerkranken seien gesetzlich nicht regelbar. Die Deutsche Hospiz Stiftung hatte dagegen eindringlich zu einer Einigung auf ein Gesetz gedrängt. Bislang gebe es einen gefährlichen "Wildwuchs" in der Interpretation des Patientenwillens, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Den jahrelangen Streit im Bundestag kritisierte Brysch jedoch nicht. Er betonte: "Es zeugt eher von der Würde des Parlaments, dass man so intensiv darum gerungen hat."

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