Auf Leben und Tod: Welcher Wille gilt?

Berlin. Schätzungsweise acht Millionen Menschen in Deutschland haben eine Patientenverfügung verfasst. Der Sinn der meisten Verfügungen besteht darin, im Fall einer besonders schweren Krankheit auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten. Der Verfasser darf jedoch nicht erwarten, dass sich der Arzt immer daran hält

Berlin. Schätzungsweise acht Millionen Menschen in Deutschland haben eine Patientenverfügung verfasst. Der Sinn der meisten Verfügungen besteht darin, im Fall einer besonders schweren Krankheit auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten. Der Verfasser darf jedoch nicht erwarten, dass sich der Arzt immer daran hält. Das hat mit den oft unklaren Formulierungen einer solchen Erklärung zu tun. Außerdem kann das, was heute verfügt wurde, wegen des medizinischen Fortschritts in ein paar Jahren ganz anders sein. Ist der Schwerstkranke noch ansprechbar, muss der Arzt seinen Willen befolgen. Wenn nicht, beginnt das Problem. Denn bislang gibt es keine klaren Gesetze über die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung, sondern nur verschiedene Gerichtsurteile, die breit interpretierbar sind. Seit Jahren müht sich die Politik um mehr Rechtssicherheit für alle Seiten. Doch auch im Bundestag gehen die Meinungen weit auseinander, wie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten mit dem Schutz des Lebens in Einklang gebracht werden kann. Seit gestern liegen dazu drei ausformulierte Gesetzentwürfe vor. Die jüngste Vorlage stammt von einer Gruppe um die Abgeordneten Wolfgang Zöller (CSU), Herta Däubler-Gmelin (SPD) sowie Monika Knoche (Linke). Das Papier soll ein "Mittelweg" zwischen den beiden früheren Entwürfen sein. Der Antrag des SPD-Abgeordneten Joachim Stünker, den schon mehr als 200 Parlamentarier unterschrieben haben, räumt dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten klar Vorrang ein. Demnach muss eine Patientenverfügung unabhängig vom Stadium der Erkrankung umgesetzt werden, also auch dann, wenn die Krankheit nicht zwangsläufig zum Tod führt. Deutlich restriktiver ist der Gesetzentwurf einer Gruppe um den CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach (CDU). Er unterscheidet zwischen einer einfachen und einer qualifizierten Verfügung. In der einfachen Willenserklärung ist der Wunsch nach einem Behandlungsabbruch nur verbindlich, wenn eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt. Die qualifizierte Variante soll für jedes Krankheitsstadium gelten. Voraussetzung ist aber, dass sich der Patient vorher beraten lässt. Außerdem muss die Verfügung notariell beglaubigt sein und alle fünf Jahre erneuert werden. Der Zöller-Entwurf lehnt sich an die Stünker-Vorlage an. Er will die Hürden aber weiter senken, indem auch mündliche Willenserklärungen gelten sollen. Andererseits muss der Arzt stärker in die Entscheidung über einen möglichen Behandlungsabbruch einbezogen werden, was die Patientenverfügung in Frage stellen kann. In der Stünker-Vorlage ist der Mediziner dagegen nur Vollstrecker des Patientenwillens. Bei Betroffenenverbänden stehen alle drei Gesetzentwürfe in der Kritik. So bemängelt zum Beispiel die Deutsche Hospiz-Stiftung, dass die Beratung des Patienten im Zöller-Papier völlig ausgespart wird und mündliche Patientenäußerungen praktisch über Leben oder Tod entscheiden. Die Bundesärztekammer lehnt indes jegliche Neuregelung ab, weil man "nicht alle Prozesse des Lebens und Sterbens in gesetzliche Schablonen pressen" könne. Trotzdem sind die Chancen für eine gesetzliche Regelung seit gestern gestiegen. Der SPD-Politiker Stünker bot Zöller & Co an, aus beiden Papieren einen tragfähigen Entwurf zu machen. Ein entsprechendes Gesetz könnte im Frühjahr vom Bundestag verabschiedet werden.

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