Wo Rettungswagenfahrer lernen

Nürburg/Mainz · Wo einst die Formel 1 ihre Runden gedreht hat, üben nun nebenan Rettungswagenfahrer. Am Nürburgring geht es ums Bremsen und Ausweichen mit Blaulicht. Eine Sonderausbildung ist für Deutschlands Rettungswagenfahrer nicht vorgeschrieben.

Tatütata. Mit Martinshorn und Blaulicht fährt Rettungsassistent Lukas Bell über rote Ampeln in Mainz. Vor einer Warteschlange von Autos zieht er den Rettungswagen mit Tempo 70 auf die Gegenfahrbahn. Mehrere Fahrzeuge weichen auf den Gehsteig aus. Stress , Druck, Adrenalin: Bells Job ist nicht ohne Risiko. Eine Sonderausbildung für das Fahren von Rettungswagen schreibt der Gesetzgeber in Deutschland nicht vor. Am Nürburgring hat daher jetzt die "Ambulance Driver Academy" eröffnet, wo sich "Fahrprofis mit der Lizenz zum Retten" freiwillig schulen lassen können.

Dahinter steht der kleine Verein Human-Transport, der mit dem schon bestehenden Fahrsicherheitszentrum an der weltbekannten Rennstrecke in der Eifel zusammenarbeitet. "Für Gabelstapler brauchen Sie einen besonderen Schein, aber nicht für Rettungswagen", erklärt Vereinschef Claus Ibsen. "Junge Leute werden als Rettungswagenfahrer anfangs ohne Erfahrung mit dem Stress alleine gelassen." Das führe in Deutschland fast täglich zu Unfällen. "Aber es wird nicht darüber gesprochen."

Mit aktuellen bundesweiten Zahlen von Rettungswagen und ihren Unfällen kann auf Anfrage weder das Statistische Bundesamt noch die Bundesanstalt für Straßenwesen aufwarten. Der Sprecher der Rettungsdienst Rheinhessen-Nahe des Deutschen Roten Kreuzes, Philipp Köhler, teilt Ibsens Einschätzung nicht: "Schwere Unfälle mit Rettungswagen sind selten. Wir haben vielleicht drei im Jahr und sind für ein Drittel von Rheinland-Pfalz zuständig."

Hilfsorganisationen, Feuerwehren und Kommunen organisieren in Deutschland vielfältig den Rettungsdienst - ein Flickenteppich. Junge Rettungswagenfahrer lernen meist nach einer Fahrzeugeinweisung im Alltag mit erfahreneren Kollegen als Beifahrer ihren Blaulichtjob. Manche Organisationen spendieren ihnen auch ein Fahrsicherheitstraining, das vielerorts in Deutschland vor allem für Autofahrer angeboten wird.

Köhler sagt: "Wir machen das nicht. Das ist nicht billig, das ist nicht im Budget der Krankenkassen." Es gebe auch Untersuchungen, wonach gerade manche Absolventen dieser Schulungen im Glauben an neue Fahrkünste riskanter unterwegs seien. Das Lernen von erfahrenen Beifahrern habe sich dagegen bewährt. Im Vordergrund stehe bei Rettungswagenfahrern die medizinische Versorgung der Patienten.

Rolf-Dieter Erbe aus Berlin schreibt in seiner Doktorarbeit (2012) über die Risiken beim Transport von Notfallpatienten , dass viele Fahrer die negativen Einflüsse von Schwingungen und Lärm auf Patienten unterschätzten. Eine bessere Ausbildung und eine "angepasste Fahrweise" würden schon sehr helfen.

Bei den neuen Tagesseminaren am Nürburgring sollen die Teilnehmer auch einmal selbst auf der Liege mitfahren. "99 Prozent aller Rettungswagenfahrer haben das noch nie gemacht", sagt Ibsen. "Die wissen gar nicht, was das bedeutet." Ansonsten geht es an der Rennstrecke laut dem Leitenden Instruktor Sven Schöniger etwa um Fahrzeugphysik, Kurventechnik, Notbremsungen und Ausweichmanöver vor Hindernissen. "Der Schwerpunkt ist bei Rettungswagen höher als bei Pkw. Darauf stimmen wir unser Programm speziell ab."

Rettungssanitäter Bell ist 28 Jahre alt und fährt seit 2007 mit Blaulicht durch Mainz. Ruhig und konzentriert wirkt er dabei. Manchmal schaltet er zwischen den beiden Tonfolgen seines Martinshorns hin und her: "Anders nehmen mich manche Autofahrer gar nicht mehr wahr." Für Bell ist der anfängliche Reiz der Sondersignale längst verflogen: "Ich fahre Einsätze lieber ohne Blaulicht - das ist viel entspannter."

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