Jahresbericht des Beratergremiums Die „Weisen“ erwarten keine schwere Krise

Berlin · Deutschland stehe nicht vor einer tiefen Rezession, so der Sachverständigenrat. Die Politik müsse dennoch mehr tun – im Zweifel auch mit neuen Schulden.

 Die „Wirtschaftsweisen“: Volker Wieland, Lars P. Feld, Christoph Schmidt, Isabel Schnabel und Achim Truger (von links).

Die „Wirtschaftsweisen“: Volker Wieland, Lars P. Feld, Christoph Schmidt, Isabel Schnabel und Achim Truger (von links).

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Der jahrelange Aufschwung in Deutschland ist zu Ende -– droht nun eine schwere Wirtschaftskrise? Die fünf „Wirtschaftsweisen“ als Top-Berater der Bundesregierung sehen diese Gefahr derzeit nicht. Sie geben der Bundesregierung aber eine klare Botschaft mit auf den Weg: Sie muss mehr tun, damit „Wachstumskräfte“ gestärkt werden. Also Unternehmen entlasten und mehr in Bildung und Forschung sowie den Ausbau des schnellen Internets investieren – und sich notfalls höher verschulden.

Wie zuvor die Bundesregierung senkte auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seine Konjunkturprognose. Das Gremium renommierter Wirtschaftswissenschaftler, kurz „Wirtschaftsweise“ genannt, erwartet nun für dieses Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,5 Prozent und von 0,9 Prozent im kommenden Jahr.

Das sind trübe Aussichten – denn 2018 war das deutsche Bruttoinlandsprodukt noch um 1,5 Prozent gestiegen. Auf den Arbeitsmarkt und die Entwicklung von Einkommen hat dies aber bisher noch keine großen Folgen. Denn die Binnenwirtschaft läuft weiter gut, vor allem Handwerk und Bau machen gute Geschäfte.

Die Bundesregierung aber müsse nun mehr tun, um die Wirtschaft anzukurbeln. Der Vorsitzende der fünf „Weisen“, Christoph Schmidt, sagte, der Sachverständigenrat sei „frustriert“ darüber, dass die Bundesregierung Mahnungen lange nicht gehört habe, „Wachstumspotenziale“ in den Mittelpunkt zu stellen – der Industrieverband BDI kommentierte dies als „Weckruf“ an die Politik.

Denn Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich mitten in einem digitalen Wandel. In vielen Betrieben übernehmen zunehmend Maschinen menschliche Arbeiten – Beschäftigte müssen qualifiziert werden für andere Tätigkeiten. Dazu kommen Umbrüche zum Beispiel in der Autoindustrie hin zu alternativen Antrieben wie dem Elektromotor.

Der Sachverständigenrat fasst dies unter dem Begriff „Strukturwandel“ zusammen – folglich lautet der Titel des Jahresgutachtens: „Den Strukturwandel meistern“. Im Kanzleramt übergab Schmidt den Bericht an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) – die dies nutzten, um der Koalition eine positive Halbzeitbilanz auszustellen. Das Regierungsbündnis hält bisher am Kurs einer „schwarzen Null“ fest – einer Politik ohne Neuverschuldung. Und auch von Konjunkturprogrammen halten die maßgeblichen Akteure zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel, wie Finanzminister Scholz bekräftigte: „Wir haben alle Möglichkeiten, im Falle einer Krise zu handeln, aber wir sehen keine solche Krise.“

Auch die „Wirtschaftsweisen“ sind gegen Konjunkturprogramme. Stattdessen gehe es darum, im Falle eines Einbruchs bestehende Instrumente wirken zu lassen. Als ein solches gilt etwa das Kurzarbeitergeld für kriselnde Firmen. Zugleich verweisen die Ökonomen aber darauf, dass die Schuldenbremse eine Neuverschuldung nicht ausschließe und Spielräume für eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen lasse. In einer konjunkturellen Schwächephase erlauben die Schuldenbremse und die europäischen Fiskalregeln gesamt­staatliche Finanzierungsdefizite, die über jene in konjunkturell normalen Zeiten hinausgehen. Auch eine Lockerung der „schwarzen Null“ halten die „Wirtschaftsweisen“ für denkbar. Schmidt sagte, in einer Krise wäre das Festhalten an der „schwarzen Null“ nicht sinnvoll – aktuell gebe es aber keine Notwendigkeit, sie in Frage zu stellen.

Hart ins Gericht gehen die „Wirtschaftsweisen“ mit der Europäischen Zentralbank (EZB) – wegen deren ultralockerer Geldpolitik. Es wäre demnach besser gewesen, zumindest auf neue Staatsanleihekäufe zu verzichten, da diese Politik „erhebliche Risiken und Nebenwirkungen“ mit sich bringen könne. So bestehe das Risiko abrupter „Preiskorrekturen“ – vor allem auf dem Immobilienmarkt.

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