Wie die USA Sex-Täter brandmarken

Washington. "Verschwinde, du Perverser!", schrieben Unbekannte mit roter Farbe an die Garagentür eines Hauses in Evansville (US-Bundesstaat Michigan), bevor sie das Fahrzeug in der Auffahrt anzündeten

 Auf dieser landesweiten Internet-Seite werden in den USA die Daten entlassener Sexualstraftäter veröffentlicht. Foto: SZ/Sceenshot

Auf dieser landesweiten Internet-Seite werden in den USA die Daten entlassener Sexualstraftäter veröffentlicht. Foto: SZ/Sceenshot

Washington. "Verschwinde, du Perverser!", schrieben Unbekannte mit roter Farbe an die Garagentür eines Hauses in Evansville (US-Bundesstaat Michigan), bevor sie das Fahrzeug in der Auffahrt anzündeten. Was die Brandstifter nicht wussten: Der vorbestrafte und im Internet registrierte Sexualstraftäter, den sie aus der Nachbarschaft vertreiben wollten, lebte einige Häuser entfernt - sie hatten das falsche Haus gewählt.Dieser Vorfall ist nur eines von tausenden Beispielen für die dramatischen Folgen, die der in Deutschland noch immer vieldiskutierte "Internet-Pranger" in den USA hat. Dort hat die Online-Veröffentlichung von persönlichen Daten von vorbestraften Sex-Verbrechern seit 1996 eine breite gesellschaftliche und rechtliche Akzeptanz gefunden - obwohl Bürgerrechtsorganisationen wie die "American Civil Liberties Union" (ACLU) immer wieder vor einer Hetzjagd auf die Betroffenen warnen. Mehrfache Wohnungswechsel innerhalb kürzester Zeit sind für einen Teil der registrierten Personen mittlerweile die Norm. Denn in vielen Bundesstaaten sieht das Gesetz vor, dass die örtlichen Polizeibehörden nicht nur die Daten des Straftäters online stellen, sondern auch Schulen, Kindergärten und Nachbarn mit Flugblättern über den Zuzug des Gebrandmarkten informieren. Dramatische Folgen hatte der "Internet-Pranger" für William Elliott, dessen "Verbrechen" darin bestand, als 19-jähriger mit seiner damals 15-jährigen Freundin wenige Tage vor ihrem 16. Geburtstag - der juristisch wichtigen Altersgrenze im Bundesstaat Maine - Sex praktiziert zu haben. Diese Fakten waren online nicht ersichtlich, als Stephen Marshall das Register durchforstete, um Opfer zu finden. Marshall konnte lediglich lesen, dass Elliott vier Monate in Haft gesessen hatte - und wo er seinen Wohnsitz hatte. Am 16. April 2006 fuhr Marshall zum Haus des Jugendlichen, wo er ihn erschoss. Am selben Tag ermordete er auch den 57-jährigen Joseph Gray, dessen persönliche Details er ebenfalls willkürlich online ausgesucht hatte.Jeder Bundesstaat entscheidet selbst, welche Informationen im Verzeichnis der Sex-Täter der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. In einigen Bundesstaaten sind nur Personen mit der größten Rückfall-Gefahr aufgeführt, während Staaten wie Maine jeden Vorbestraften ungeachtet der Schwere des Verbrechens und der Prognose ins Internet stellen. Selbst Zufalls-"Täter" wie jene Männer, die nachts hinter einer Gaststätte urinierten und deshalb wegen öffentlicher Bloßstellung verurteilt wurden, finden sich deshalb gelegentlich hier wieder. Auch in Washington und New Hampshire sind mittlerweile Morde an registrierten Haftentlassenen aktenkundig, doch am "Internet-Pranger" wollen die Behörden festhalten. Eine Studie ergab, dass zwar nur fünf Prozent der an den Pranger gestellten Menschen persönlichen Angriffen ausgesetzt waren, doch ein Drittel der Vorbestraften negative Erfahrungen machte. Diese reichten von Drohungen und Sachbeschädigungen bis hin zum Verlust des Wohnsitzes.

HintergrundAlle 50 Bundesstaaten führen in den USA Register mit Sexualstraftätern. Viele sind öffentlich zugänglich im Internet mit Name, Foto, Adresse. Der Kreis der Personengruppe, die veröffentlicht wird, ist weit gefasst. In fünf Bundesstaaten werden laut Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auch Männer registriert, die beim Besuch von Prostituierten erwischt werden. In 13 Staaten reicht öffentliches Urinieren für einen Eintrag. In 17 Bundesstaaten bleiben die Einträge lebenslang. Die Register verzeichnen inzwischen mehr als 600 000 Namen. In manchen Gegenden dürfen wegen Sittlichkeitsdelikten Verurteilte nicht im Umkreis von 800 Metern von Schulen oder anderen Orten wohnen, wo sich Kinder versammeln können. afp

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