Kleine Pille, große Freiheit"Viele Frauen hatten Skepsis gegenüber der Pille"

Frankfurt. Der Papst hat sie verteufelt. Sie steht für sexuellen Aufbruch und hat die Sexualmoral auf den Kopf gestellt: Vor 50 Jahren, am 9. Mai 1960, wurde die Antibabypille in den USA als Verhütungsmittel freigegeben. Sah der Philosoph Max Horkheimer in ihr noch den "Tod der Erotik", gehört sie für viele Frauen heute wie selbstverständlich zum Alltag

Frankfurt. Der Papst hat sie verteufelt. Sie steht für sexuellen Aufbruch und hat die Sexualmoral auf den Kopf gestellt: Vor 50 Jahren, am 9. Mai 1960, wurde die Antibabypille in den USA als Verhütungsmittel freigegeben. Sah der Philosoph Max Horkheimer in ihr noch den "Tod der Erotik", gehört sie für viele Frauen heute wie selbstverständlich zum Alltag.

Der Zulassung vorausgegangen war jahrelange Forschung. Als Pionier in Sachen Verhütung experimentierte der Innsbrucker Chemiker Ludwig Haberlandt kurz nach dem Ersten Weltkrieg erstmals mit Eierstockverpflanzungen bei Tieren. Der Durchbruch zur Antibabypille gelang rund 30 Jahre später, als der US-amerikanische Wissenschaftler Gregory Pincus und seine Mitarbeiter ein Hormonpräparat in einer ethisch fragwürdigen Versuchsreihe an der armen Bevölkerung in Puerto Rico erprobten.

Für viele war diese Erfindung ein Befreiungsschlag. Mit der Antibabypille gab es ein hormonelles Verhütungsmittel, das sicher und zugleich einfach anwendbar war. "Die Pille war ein Segen", erinnert sich die Autorin Barbara Sichtermann, eine der Feministinnen der ersten Stunde. "Sie schaffte die Angst vor Schwangerschaft bei lustvollem Sex ab." Und der Medizinhistoriker Robert Jütte meint: "Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit konnte zwischen Sex und Fortpflanzung unterschieden werden." In den 60er Jahren begannen in den Industrieländern, die Geburtenraten zu sinken - der "Pillenknick" setzte ein.

1961, ein Jahr nach der Einführung in den USA, brachte der Berliner Pharmakonzern Schering die erste europäische Pille mit Namen "Anovlar" auf den Markt. Etliche Zeitungen feierten die Erfindung als große Errungenschaft der Menschheit. So etwa das Magazin "Stern": "Wir können heute schon mit Gewißheit sagen, daß an diesem Tag ein gewaltiger Schritt vorwärts getan wurde zur Lösung eines der brennendsten Probleme, das sich im Zusammenleben von Mann und Frau ergibt: Das Problem der Geburtenregelung und darüber hinaus das der Familienplanung."

Und das, obwohl die Pille Anfang der 60er Jahre auf eine noch durch und durch biedere deutsche Nachkriegsgesellschaft traf: Sexualität war ein Tabuthema, die Angst auch unter den Gynäkologen vor sexueller Verantwortungslosigkeit und Promiskuität groß. Offiziell verschrieben die Ärzte die Pille daher anfangs wegen Menstruationsbeschwerden. Wie beiläufig stand die empfängnisverhütende Wirkung als Nebenwirkung nur auf dem Beipackzettel.

"Die Pille kann als Auslöser der sexuellen Revolution gesehen werden", sagt Jütte. Schnell sprach sich die neue Verhütungstechnik herum, so dass schließlich auch die katholische Kirche reagierte: In der Enzyklika "Humanae vitae" verurteilte Papst Paul VI. 1968 die aktive Geburtenregelung durch Pille und Kondom als Sünde. Eine Lehrmeinung, die bis heute besteht. Aber auch die Frauenbewegung, die die Erfindung zunächst euphorisch begrüßte, nahm die Pille kritisch unter die Lupe: "Die Hormonflut war durchaus bedenklich", sagt Sichtermann. Über Langzeitfolgen war wenig bekannt, das Risiko lag völlig auf Seiten der Frauen.

Medizinisch völlig unbedenklich ist das Medikament bis heute nicht: In den USA hatte die Firma Seale bereits 1961 mehr als 132 Fälle von Thrombosen und Embolien registriert. Der Siegeszug der Pille ließ sich dadurch nicht aufhalten. Weltweit etwa 100 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter schlucken inzwischen die Pille, schätzt Medizinhistoriker Jütte. Allein im vergangenen Jahr hat das Unternehmen Bayer Schering Pharma nach eigenen Angaben 450 Millionen Zyklus-Packungen verkauft.

Frau Köwenig, können Sie sich noch an die Zeit erinnern, als die Antibabypille in Deutschland auf den Markt kam?

Käthe Köwenig: Die Pille wurde bei uns Anfang der 60er Jahre eingeführt. Ich habe 1960 geheiratet und war mit meinen 20 Jahren gerade in dem Alter, in dem man sich über so etwas Gedanken macht. Viele Frauen, aber auch die Öffentlichkeit, hatten Skepsis und haben den Präparaten und seiner Wirkung nicht getraut.

Haben Sie selbst sich vor 50 Jahren mit der Pille auseinandergesetzt oder sie bereits genommen?

Köwenig: Auseinandergesetzt ja, genommen habe ich sie noch nicht. Es hat nicht jeder die Pille bekommen. Eine Freundin von mir hat sie schon in den Anfangsjahren wegen Problemen mit der Gebärmutter nehmen müssen. Zunächst war die Pille nicht für die Empfängnisverhütung gedacht, sondern der Arzt hat sie wie andere Medikamente auch, gegen Beschwerden verordnet. Ich habe sie gewollt - auch wegen meiner unregelmäßigen Menstruation -, habe sie aber nicht bekommen.

Wie hat es sich damals bei Ihnen selbst weiter entwickelt?

Köwenig: Ich habe 1962 meinen Sohn auf die Welt gebracht. Etwa acht Jahre später habe auch ich die Pille dann genommen. Nicht nur wegen der Empfängnisverhütung, sondern auch, weil meine unregelmäßigen Blutungen dadurch besser wurden. Das hat das Leben schon einfacher gemacht.

Am Rande

 Dieser Wecker sollte das Vergessen der Pilleneinnahme verhindern. Foto: Süddeutsche Zeitung

Dieser Wecker sollte das Vergessen der Pilleneinnahme verhindern. Foto: Süddeutsche Zeitung

 Dieser Wecker sollte das Vergessen der Pilleneinnahme verhindern. Foto: Süddeutsche Zeitung

Dieser Wecker sollte das Vergessen der Pilleneinnahme verhindern. Foto: Süddeutsche Zeitung

Erstaunliches Ergebnis einer Studie: Frauen, die mit der Antibabypille verhüten, sterben seltener an Herzerkrankungen oder an Krebs. Das geht aus einer Langzeitstudie der britischen Universität von Aberdeen hervor. Dafür wurden 46 000 Frauen über 40 Jahre lang beobachtet. Wie die Forscher herausfanden, steigt das Risiko der Erkrankungen zunächst an, sinkt nach einer längeren Einnahmedauer aber. Diese Ergebnisse basieren allerdings auf der ersten Generation der Antibabypille. dpa

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