Eine kleine Dosis Kapitalismus für Kuba

Havanna. Die kubanische Regierung hat einer großen Reform des sozialistischen Wirtschaftsmodells eine Absage erteilt, führt aber durch die Hintertür marktwirtschaftliche Elemente ein. Künftig dürften mehr Berufszweige auf eigene Rechnung arbeiten, kündigte Staatschef Raúl Castro (Foto: afp) am Sonntag anlässlich der Sitzung der Nationalversammlung an

Havanna. Die kubanische Regierung hat einer großen Reform des sozialistischen Wirtschaftsmodells eine Absage erteilt, führt aber durch die Hintertür marktwirtschaftliche Elemente ein. Künftig dürften mehr Berufszweige auf eigene Rechnung arbeiten, kündigte Staatschef Raúl Castro (Foto: afp) am Sonntag anlässlich der Sitzung der Nationalversammlung an. Zudem würde der "enorme Personalbestand" in den Staatsbetrieben nach und nach abgebaut. Konkrete Zahlen nannte Castro nicht. Er betonte aber, dass der Staat "niemanden seinem Glück" überlasse und die nötige Unterstützung "für ein würdiges Leben" leiste. Allerdings müsse man sich von dem Gedanken verabschieden, dass "Kuba das einzige Land auf der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten".Auf der Karibikinsel arbeiten 95 Prozent der Beschäftigten in Staatsbetrieben. Ein Modell, das lange schon Ermüdungserscheinungen zeigt. Die Arbeiter verspüren wenig Lust, für einen Lohn von 15 Euro im Monat zu schuften. Von 5,1 Millionen Beschäftigten arbeiten nur rund 148 000 in einigen Berufszweigen auf eigene Rechnung, beispielsweise in der Gastronomie.Die Kapitalismus-Spritze in den kubanischen Kommunismus kommt im Moment der größten Wirtschaftskrise seit dem Zusammenruch der Sowjetunion. Die Produktivität in der Staatswirtschaft ist sehr niedrig, die Ernten schlecht, die Weltmarktpreise tief, die Schulden hoch und die Wirtschaftspartner klamm. Dementsprechend schlecht ist die Versorgungslage vor allem für die Kubaner, die keine Devisen haben und auf das Bezugsheft und die staatlichen Geschäfte angewiesen sind. Reis und Öl sind knapp, und die Preise für Obst und Gemüse sind hoch."Aktualisierung" der Ideologie"Der Ministerrat hat beschlossen, als Alternative für überzählige Arbeiter die Arbeit auf eigene Rechnung zu erweitern", erklärte Castro. Dazu würden Hindernisse und Verbote beseitigt und der Handel mit bestimmten Produkten erlaubt. Bereits im April hatte die kubanische Führung den Betreibern von Frisörgeschäften und den Taxifahrern mehr Eigenständigkeit zugestanden. So müssen Frisöre jetzt Miete zahlen, Scheren und andere Utensilien selbst kaufen, dürfen aber die Tarife berechnen, die sie wollen.Wirtschaftsminister Marino Murillo betonte, dass die neuen Schritte keine Abkehr von der geltenden Ideologie bedeuteten. Es handele sich lediglich um eine "Aktualisierung". Auch künftig werde Kuba nach den "Gesetzen des Sozialismus und nicht des Marktes funktionieren". Insbesondere werde der Karibikstaat nicht dem Beispiel anderer kommunistischer Länder wie China oder Vietnam folgen, die sich der Marktwirtschaft geöffnet, aber das politische System unverändert gelassen hätten. Die "Aktualisierung" der kubanischen Wirtschaft werde "in Ruhe" umgesetzt, um Fehler zu vermeiden.Die kleine Dosis Kapitalismus könnte aber zu wenig sein, um den Kommunismus zu retten. In Folge der globalen Finanzkrise, fallender Rohstoffpreisen und der zweistelligen Milliardenschäden durch drei Wirbelstürme vor zwei Jahren ist ein Haushaltsdefizit von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgelaufen. Und das Land kann weder Kredite zurückzahlen noch all die Lebensmittel im Ausland einkaufen, die es braucht, um die Bevölkerung ernähren zu können. Nach Angaben des oppositionellen Ökonomen Oscar Espinosa Chepe wies die Handelsbilanz Kubas 2009 ein Defizit von fast elf Milliarden Dollar aus.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort