Eine Billion Euro für 500 Millionen Menschen

Als der EU-Gipfel gestern Abend zusammentrat, war die Arbeit getan. Noch Stunden zuvor hatte es so ausgesehen, als sei das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel eine Show, bestenfalls mit Symbolcharakter.



26 Millionen Arbeitslose gibt es in der EU, davon sechs Millionen unter 25 Jahren. In 19 der 27 Mitgliedstaaten liegt die Quote der jobsuchenden jungen Menschen über 25 Prozent. "Wir müssen Jugendlichen eine Perspektive sichern", sagte Kanzlerin Angela Merkel, als sie in Brüssel eintraf. "Aber wir brauchen auch eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung", wie sie Deutschland und Frankreich gefordert hatten.

Die Lösung wurde am Abend beschlossen: Europas Jugendliche sollen eine Ausbildungsgarantie bekommen. Mit rund sechs Milliarden Euro wird die Union in den nächsten beiden Jahren eine Beschäftigungsinitiative starten. Außerdem soll die hauseigene Europäische Investitionsbank kleinen und mittelständischen Unternehmen aus der Kreditklemme helfen, wenn sie von ihren eigenen Geldinstituten kein Geld mehr bekommen.

Doch das Vorhaben wäre um ein Haar zu einem Symbol ohne Inhalt geworden, wäre es nicht schon am frühen Morgen zu einem unerwarteten Durchbruch gekommen. Denn bis dahin hatten die Europa-Parlamentarier den neuen EU-Etat blockiert. Erst am Mittwoch hatte Parlamentschef Martin Schulz in einem Brief angekündigt, dass es keine Mehrheit für den aktuellen Vorschlag geben würde. Dann saßen die drei Präsidenten Jose Manuel Barroso (Kommission), Martin Schulz (Parlament) und Enda Kenny (Rat) jedoch über eine Stunde zusammen und schafften, was ohne ihre Institutionen offenbar leichter fiel: "Wir haben eine Einigung", verkündete Barroso schließlich. "Ich kann mit dem Resultat leben. Ich werde dafür kämpfen", meinte Schulz. "Das ist ein guter Tag für 500 Millionen Bürger und insbesondere sechs Millionen arbeitslose junge Leute", betonte Kenny.

Gestern Abend kam es wieder zu Irritationen. Nach Angaben von Schulz wollte der britische Regierungschef David Cameron das Kompromisspaket erneut aufschnüren. Diplomaten sagten, es handle sich lediglich um ein "technisches Problem" - das allerdings den Gipfelverlauf verzögerte.

960 Milliarden Euro darf die EU jetzt bis 2020 ausgeben. Rechnet man einige außerplanmäßige Etats hinzu, sind es sogar 997 Milliarden. Allerdings haben die Mitgliedstaaten lediglich 908 Milliarden Euro an Beiträgen zugesagt. "Die sind aber sicher", unterstrich der Parlamentschef. Denn künftig fließen ungenutzte Gelder am Ende eines Jahres nicht zurück an die Mitgliedstaaten, sondern können auf die nächsten zwölf Monate übertragen werden: sieben Milliarden 2018, neun Milliarden 2019 und zehn Milliarden 2020.

Zwar gab es umgehend heftige Kritik aus dem Europäischen Parlament, dessen Mehrheit notwendig ist. Sozial- und Christdemokraten signalisierten aber bereits, dass sie dem Paket zustimmen können. Und auch Ratspräsident Kenny zeigte sich - drei Tage vor Ablauf seiner Amtszeit als EU-Vorsitzender - zuversichtlich.

Damit war dann der Weg endgültig frei, um wenige Stunden später im Kreis der Staats- und Regierungschef Nägel mit Köpfen zu machen. Neben dem Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit forderte Barroso von den Mitgliedstaaten, schneller entsprechende Vorschläge seines Hauses umzusetzen. Die Staaten gehörten zu den "momentanen Hindernissen für die wirtschaftliche Entwicklung".

Tatsächlich wurden von etwa 100 Vorstößen, die Brüssel zur Entlastung der Betriebe von Auflagen präsentiert hat, lediglich sieben in die Praxis übernommen. Obwohl die Mitgliedstaaten selbst alle Initiativen zunächst angenommen hatten. "Es gibt noch viele Stellschrauben, die wir nutzen könnten, um die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen", sagte ein hoher EU-Diplomat gestern. "Sie sind der eigentliche Schlüssel, um den Betrieben mehr Investitionen zu erleichtern und dann auch Jobs zu schaffen."

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