Steinbrück lässt die Genossen johlen

Berlin · Da sage noch einer, Wahlkampf sei langweilig. Peer Steinbrück nutzt im Bundestag die letzte Chance vor der Sommerpause und attackiert die Kanzlerin. Da muss nicht nur Angela Merkel staunen. Auch die SPD erkennt ihren Kanzlerkandidaten nicht wieder.

Der Sessel von Angela Merkel ist noch leer, da läuft Peer Steinbrück bereits durch die eigenen Reihen, schüttelt Hände, putzt seine Brille und blättert im Redemanuskript. Auf der Tagesordnung steht wieder eine Regierungserklärung zum Thema Europa, was eigentlich nur mäßige Spannung verspricht, wären es nicht nur noch 87 Tage bis zur Bundestagswahl. Da will die Opposition der schwarz-gelben Regierung ein letztes Mal vor der parlamentarischen Sommerpause kräftig einheizen. Und diesmal kann Steinbrück punkten.

Die Amtsinhaberin lässt es wie fast immer staatstragend angehen. Merkel ist besorgt über die schreckliche Lage der syrischen Zivilbevölkerung, beunruhigt über die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den Euro-Krisenländern, aber auch optimistisch, dass sich die Dinge zum Guten wenden. Vor allem in Europa. Dazu müssten die Krisenstaaten allerdings auch ihre "Hausaufgaben" machen, sprich, die Reformpolitik vorantreiben. So wie das in Deutschland schon der Fall war. Nur in einer kurzen Passage sucht Merkel die offene Konfrontation mit der Opposition: "Sie wollen die Leistungsträger in der Mitte belasten, wir definitiv nicht. Das ist der Unterschied zwischen ihnen und uns", spielt sie auf die Steuererhöhungspläne von SPD, Grünen und Linken an.

Spätestens jetzt ist der Ring frei für den Wahlkampf. Als Steinbrück unmittelbar nach der Kanzlerin ans Rednerpult tritt, steht ihm die Angriffslust ins Gesicht geschrieben. Schon die erste Bemerkung wird zum Totalverriss des eben Gehörten. Steinbrück erinnert an den früheren SPD-Fraktionschef Fritz Erler, der nach einem nicht eben gehaltvollen Auftritt des damaligen CDU-Kanzlers Ludwig Erhard ausrief: "Die Rede des Herrn Bundeskanzlers war sehr reziplikativ." Was das bedeute, fragt Steinbrück, die Unruhe im Saal genießend. "Das heißt gar nichts, aber es spricht sich so schön." Da johlen sie fast auf den SPD-Bänken. So locker flockig haben sie Steinbrück selten erlebt.

Und der Kandidat schiebt einige Breitseiten gegen Merkels müden Vortrag nach: Irgendwie habe er die Regierungserklärung schon drei, vier Mal gehört. Fehlte nur noch, sie hätte gesagt, "eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis in Europa", höhnt Steinbrück. Dabei sei die hohe Jugendarbeitslosigkeit auch Folge von Merkels europäisch verordneter Sparpolitik. Im Gegensatz dazu mache die Kanzlerin hierzulande unfinanzierbare Wahlversprechen. Welches Bild gebe man da für Europa ab, fragt Steinbrück. Und von wegen schwarz-gelbe Erfolge. Trotz bester Konjunktur habe die Regierung in den letzen vier Jahren 100 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. "Sie können nicht mit Geld umgehen. Wenn Sie in der Wüste regieren, dann wird der Sand knapp", ereifert sich Steinbrück, und die Opposition klopft sich vergnügt auf die Schenkel.

Vergessen ist in solchen Momenten, dass auch die SPD stets an der Seite der Kanzlerin stand, wenn es um wichtige Abstimmungen zur Euro-Rettung ging. Vergessen auch, dass Steinbrück noch als Bundesfinanzminister die Neuverschuldung in nur einem Jahr wegen der Finanzkrise um 86 Milliarden Euro nach oben geschraubt hatte. Aber die Opposition lässt sich die Laune nicht verderben. Auch Volker Beck von den Grünen, die sonst viel mit dem SPD-Kandidaten hadern, ist angetan: "Steinbrück war Spitze. Dagegen fiel die Rede Merkels unter das Betäubungsmittelgesetz."

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