Der Rückzug des SaarländersIm Saarland schließt sich nun der Kreis

Berlin. Gregor Gysi wirkte wie versteinert, als sein Parteifreund Oskar Lafontaine am Samstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die unumstößliche Tatsache ins Mikrofon sprach: "Ich habe den Parteivorstand informiert, dass ich nicht mehr als Parteivorsitzender kandidieren werde." Auch sein Bundestagsmandat werde er "umgehend" niederlegen, so Lafontaine

Berlin. Gregor Gysi wirkte wie versteinert, als sein Parteifreund Oskar Lafontaine am Samstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz die unumstößliche Tatsache ins Mikrofon sprach: "Ich habe den Parteivorstand informiert, dass ich nicht mehr als Parteivorsitzender kandidieren werde." Auch sein Bundestagsmandat werde er "umgehend" niederlegen, so Lafontaine.

Die Ankündigung des Saarländers ist eine mittlere Sensation. Viele Linkspartei-Aktivisten hatten damit gerechnet, dass Lafontaine zumindest Parteichef bleiben wolle. Das umso mehr, als Fraktionschef Gregor Gysi seinen alten Fahrensmann, Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, öffentlich der Illoyalität gegenüber Lafontaine bezichtigt hatte. Bartsch kündigte daraufhin den Rückzug von seinem Parteiposten an, was als "Preis" für Lafontaines erneuten Antritt beim Bundesparteitag im Mai verstanden werden durfte. Das war ein Irrtum, wie sich nun herausstellte.

Nach Darstellung Lafontaines waren keineswegs die Personalquerelen für seinen Entschluss verantwortlich, sondern ausschließlich gesundheitliche Gründe. Bereits im Oktober 2009 hatte der Saarländer überraschend seinen Rückzug aus der Linksfraktionsspitze im Bundestag verkündet. Kurz darauf musste er sich einer Krebsoperation unterziehen. Das sei ein "Warnschuss" gewesen, den man nicht ohne weiteres wegstecken könne. "Das war die zweite existenzielle gesundheitliche Krise nach dem Attentat", erklärte Lafontaine nun. Als Kanzlerkandidat der SPD war er 1990 von einer geisteskranken Frau lebensgefährlich verletzt worden. Nach Angaben von Vertrauten hat sich Lafontaine im Vorjahr auch eine schwere Bronchitis zugezogen. Zeitungsberichte, wonach er an einer Herzkrankheit leide, wurden ebenfalls nie dementiert.

Das wochenlange Schweigen Lafontaines über seine politische Zukunft hatte die Linkspartei in schwere Turbulenzen gestürzt. West-Fundamentalisten aus der vormaligen WASG gifteten gegen Ost-Realos aus der einstigen PDS. Und die Projektionsfläche für alle Beteiligten war Dietmar Bartsch, der zweifellos von Anfang an mit Lafontaine politisch und persönlich über Kreuz lag. Gerüchten zufolge soll Bartsch sogar ein angebliches Verhältnis Lafontaines mit der Sprecherin der Kommunistischen Plattform Sahra Wagenknecht dem "Spiegel" gesteckt haben, der daraus eine große Story machte.

Im Parteivorstand beklagte sich Lafontaine heftig über seinen Widersacher. Bartsch sei "niederträchtig" gewesen, wurde er von Teilnehmern zitiert. Lafontaines Kritik galt auch dem Thüringer Landtagsfraktionschef Bodo Ramelow, weil der gleich nach dem Bekanntwerden von Lafontaines Krebsoperation eine Nachfolgediskussion angezettelt hatte. Wie es nun an der Parteispitze weitergehen soll, ist noch unklar, zumal auch Co-Parteichef Lothar Bisky nicht wieder kandiert. Er ist jetzt Europa-Abgeordneter für die Linken. Im Gespräch für ein Führungsduo sind die beiden Fraktionsvize Gesine Lötzsch, weil sie zwischen den Ost-West-Grabenkämpfern vermitteln könnte, und Klaus Ernst, der als rhetorisches Talent gilt. Sollte der Parteizusammenhalt noch mehr in Gefahr geraten, könnte aber auch Gregor Gysi noch einmal den Karren ziehen. Der gelernte Rechtsanwalt war von 1989 bis 1993 bereits Vorsitzender der PDS. Auf die Frage, ob er es noch einmal versuchen wolle, meinte Gysi nur: Namen könne er nicht nennen, "nicht mal meinen eigenen".

Lafontaines Rückzug dürfte auch das künftige Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei beeinflussen. Nach Ansicht des SPD-Linken Niels Annen sind die Chancen für eine Kooperation beider Parteien auf Bundesebene gestiegen. Viele Politiker der Linkspartei seien für die Sozialdemokraten schon heute "wichtige Ansprechpartner im Bund", sagte Annen in einem Interview. Skeptischer äußerte sich Fraktionsvize Elke Ferner: Eine Annäherung beider Parteien werde davon abhängen, "wie sich die Linkspartei inhaltlich positioniert, ob sie weiter Fundamental-Opposition im Bund macht, oder ob sie den Anspruch hat, auch gestalten zu wollen", sagte die SPD-Politikerin gestern unserer Zeitung. Der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der SPD, Ottmar Schreiner, sieht derweil seine eigene Partei in einer Bringschuld: "Die SPD muss ein Stück weit ihre eigene Programmatik korrigieren, die ursächlich für das sozialdemokratische Wahldebakel ist. Das Ergebnis könnte dann mehr Kompatibilität mit der Linkspartei sein, sofern es auch dort eine inhaltliche Bewegung gibt", sagte Schreiner. Noch sei aber unklar, inwieweit Lafontaine die Programmatik seiner Partei weiter beeinflussen werde.

Derweil will sich Lafontaine nach eigenen Angaben ganz auf seine Aufgabe als Linksfraktionschef im saarländischen Landtag konzentrieren und nur "ab und zu" in die Bundespolitik eingreifen. Im Bundestag folgt ihm die erst 24-jährige Saarländerin Yvonne Ploetz nach.Berlin. Nein, sagte er immer wieder, das sei kein Abschied auf Raten. Im Oktober vergangenen Jahres überraschte Oskar Lafontaine die Bundestagsabgeordneten der Linken mit seinem Rückzug vom Amt des Fraktionschefs. Und die Abgeordneten im saarländischen Landtag mit der Ankündigung, den Fraktionsvorsitz im kleinen Landesparlament behalten zu wollen. Es war ein typischer "Oskar": Keiner wusste, was wirklich los war, Lafontaine befeuerte die Spekulationen mit seinem Schweigen, und die Saar-Grünen hatten einen feinen Vorwand für "Jamaika".

Als er am 17. November dann doch sein Krebsleiden offenbarte, war klar: Das hat Konsequenzen für seine politische Zukunft, aber auch für die Linkspartei. Allzu schnell thematisierte der thüringische Spitzen-Linke Bodo Ramelow die "Zeit danach", was ihm als "geschmacklos" ausgelegt wurde. Aber Ramelow lag richtig: Die Linken müssen nun ihre Parteispitze fast komplett neu wählen, denn auch der Co-Vorsitzende Lothar Bisky und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch treten nicht mehr an.

Der nunmehr 66-jährige Lafontaine war in über 40 Jahren Politkarriere von der Kommunal- bis zur Bundesebene fast alles - aber die Kanzlerschaft blieb ihm verwehrt. Das ist er selbst schuld, denn auch das Überlassen der Kanzlerkandidatur 1998 an Gerhard Schröder war typisch für ihn: Quasi über Nacht, ohne jede Rücksprache mit politischen Freunden, gestand er Schröder bei "ein paar Wein" in der Bonner Vertretung des Saarlandes zu, den schwächelnden Einheitskanzler Helmut Kohl herausfordern zu dürfen. Das Zurückzucken vor dem Draufgängertyp Schröder hat damals niemand verstanden, Spötter sagen: Nicht mal Lafontaine selbst. Auf jeden Fall war diese Entscheidung der Anfang vom Ende des SPD-Heros Oskar Lafontaine. Trotz gewonnener Wahl 1998 versemmelte die rot-grüne Koalition den Start, Lafontaine überwarf sich mit Schröder und trat am 11. März 1999 spektakulär zurück.

Seitdem trachtete das waidwunde Alphatier nach Genugtuung. Mit Büchern gegen Schröders Politik ("Das Herz schlägt links"; "Die Wut wächst") schaffte er sich Luft - und schlug die Tür zur SPD immer weiter zu. Nach den Hartz-Reformen und der Gründung der Protest-Bewegung WASG gab er nach 39 Jahren Mitgliedschaft 2005 sein SPD-Parteibuch ab und mischte bei der neuen Linken mit. Fortan bildete er mit Gregor Gysi ein Tandem an der Spitze der Bundestagsfraktion der Linken. 2007 war er am Ziel: Die WASG und die PDS fusionierten zur Linkspartei. Es ist vor allem auch Lafontaines Erfolg, dass die Partei heute in zwölf Landtagen sitzt.

Jetzt schließt sich der Kreis, wenn er sein politisches Zentrum wieder ins Saarland verlegt, wo er am 30. August 2009 auch seinen größten Triumph feiern konnte: Die Linke im Saarland zog mit 21,3 Prozent der Stimmen in das Parlament ein. Möglicherweise träumt Lafontaine immer noch von einer vereinigten Linken in Deutschland. Wer dieses Ziel aber nun bewerkstelligen soll, steht mehr denn je in den Sternen. "Namen kann ich nicht nennen, nicht mal meinen eigenen."

Linksfraktionschef Gregor Gysi zur Nachfolgediskussion

Hintergrund

Oskar Lafontaines Ankündigung, in Zukunft seinen Job als Linken-Fraktionschef im Saar-Landtag zu machen, hat bei den Jamaika-Fraktionen (angeblich) freudige Erwartungen ausgelöst. So erklärte FDP-Fraktionschef Horst Hinschberger, er freue sich auf "einen qualitativ hochwertigen Wettstreit der Ideen". Auch Grünen-Chef Hubert Ulrich freut sich über Lafontaines Rückkehr und auf lebendige Plenar-Debatten. CDU-Generalsekretär Roland Theis begrüßt "die inhaltliche Auseinandersetzung mit Herrn Lafontaine über Fragen, die für die Menschen im Land wirklich wichtig sind". Theis befürchtet allerdings, dass er den Landtag weiter als Bühne für "bundespolitische Alleingänge" nutzen wolle. SPD-Chef Heiko Maas meinte, dass sich für die Saar-Politik nichts ändere. "Er ist ja schon hier, jetzt bleibt er halt hier", so Maas. dik

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