Eiertanz um deutsche Mission Gefährlicher Klinik-Einsatz am Hindukusch

Berlin. Selten hatte eine internationale Konferenz eine so hohe Bedeutung für die Innenpolitik der Bundesregierung. Seit Wochen kündigt die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an, im Lichte der Ergebnisse der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London die deutsche Strategie auf den Tisch zu legen

Berlin. Selten hatte eine internationale Konferenz eine so hohe Bedeutung für die Innenpolitik der Bundesregierung. Seit Wochen kündigt die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an, im Lichte der Ergebnisse der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London die deutsche Strategie auf den Tisch zu legen. Nun zeichnet sich ab, welche deutschen Angebote Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in London mit den Vertretern aus 60 Staaten besprechen könnte. Im Vorfeld der Konferenz hat der Außenminister bereits ein Aussteiger-Programm für radikalislamische Taliban angekündigt. Mitläufer könnten mit Geld vom falschen Weg abgebracht werden, so Westerwelles Vorschlag. Die Konferenz gilt als Gradmesser für Erfolg oder Scheitern der vor acht Jahren begonnenen Mission der internationalen Gemeinschaft zum Wiederaufbau Afghanistans und der Bekämpfung der radikal-islamischen Taliban - und damit auch des Bundeswehreinsatzes. Eines scheint festzustehen: die Verdopplung der deutschen Entwicklungshilfe auf 250 Millionen Euro. Aber auch mit der Erhöhung bleibt die Hilfe weit unter den Militärausgaben, die in diesem Jahr in etwa das Dreifache erreichen dürften. Ferner will die Regierung die Zahl der Polizeiausbilder erhöhen. Einst hatte Deutschland die Verantwortung für die Polizeiausbildung. Dann übernahm die Europäische Union mit ihrer Polizeimission Eupol, aber die Ergebnisse sind weiterhin dürftig. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte dem Magazin "Focus" zu Eupol: "Da sitzen viele, die zu wenig bewirken." Insgesamt - für Eupol sowie eigene Polizeihilfe - will Deutschland künftig rund 260 eigene Polizisten einsetzen. 2009 waren es gerade einmal 90. Die Bundeswehr, die mit rund 4300 Soldaten in Afghanistan ist, hatte der Polizei allein mit 45 Feldjägern Amtshilfe geleistet. Am brisantesten ist aber die Zahl der deutschen Soldaten. Der Unmut hierzulande ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Statt der Befriedung Afghanistans gab es zunehmend Anschläge auf die Bundeswehr mit Toten und Verletzten. Vor London stellt sich nun die Frage: Wie viele Soldaten wird Deutschland zusätzlich schicken? Jedenfalls kündigt Guttenberg in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag) an, vor der Konferenz "eine konkrete Zahl für eine mögliche Aufstockung des deutschen Truppenanteils" vorzustellen. Merkel möchte die SPD dabei im Boot haben. Die Sozialdemokraten, die zu ihrer Regierungszeit dem Einsatz immer zugestimmt haben, geben sich nun kritisch. Sie wollen von der neuen Regierung ein konkretes Abzugsdatum hören und lehnen weitere "Kampftruppen" ab. Hier könnte sich der Kompromiss abzeichnen. Denn das muss nicht heißen, dass die SPD gegen weitere Truppen stimmt. Merkel sandte in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft dieses Signal aus: Damit Afghanistan selbst für seine Sicherheit sorgen kann, müssten Armee und Polizei aufgebaut werden. "Dazu sind noch erhebliche Ausbildungsanstrengungen notwendig (. . .) Deshalb werden wir unsere militärischen Aufgaben vor allen Dingen auch auf die Ausbildung der Sicherheitskräfte konzentrieren." Die USA stocken ihre Truppen nicht zuletzt massiv auf, um schon im nächsten Jahr mit dem Abzug der ersten Soldaten beginnen zu können. Rückzug - das ist auch in Deutschland ein immer drängenderer Wunsch.Masar-i-Scharif. Das Leben des Kindes hing am seidenen Faden. Als der Junge in das Bundeswehrkrankenhaus in Masar-i-Scharif gebracht wurde, lag er schon fast im Koma. Die deutschen Ärzte stellten eine akute Hirnhautentzündung fest, operierten und gaben Antibiotika. "Dem Kind geht es heute wieder besser. Es wäre sicher gestorben, wenn wir nicht geholfen hätten", sagt Oberstarzt Jörg Ruff. Rund 360 Angehörige des Bundeswehr-Sanitätsdienstes sind im Norden Afghanistans stationiert. 2009 haben sie allein im Masar-i-Scharif mehr als 22 000 Patienten behandelt. Doch nicht immer haben die Ärzte in dem größten Bundeswehrkrankenhaus in Afghanistan Geschichten mit Happy End zu erzählen. Denn der Einsatz der rund 4300 deutschen Soldaten in Afghanistan wird immer gefährlicher. Fünf deutsche Soldaten starben im vergangenen Jahr - zwei mehr als 2008. Mit 65 Prozent war der Großteil der Patienten deutsche Soldaten, sieben Prozent waren Mitglieder anderer Streitkräfte der internationalen Schutztruppe Isaf. 27 Prozent waren Afghanen. Voraussetzung für die Aufnahme von Zivilisten ist allerdings, dass Kapazitäten frei sind. "Primär sind wir dafür da, bei Verwundungen und schwersten Verletzungen adäquat helfen zu können", sagt Ruff mit Blick auf die Soldaten. Dabei gewährt das Krankenhaus meist die erste chirurgische Versorgung - danach werden deutsche Soldaten in der Regel mit Spezialmaschinen in die Heimat ausgeflogen. "Wir müssen unsere Behandlungskapazitäten sehr schnell wieder freimachen", sagt Ruff. "Afghanen haben andere Infektionserkrankungen als wir in Deutschland", sagt Ruff. Die Lebensbedingungen seien hier schließlich deutlich schlechter. Für Afghanen ist die Behandlung bei den Deutschen kostenlos - auch Medikamente bekommen sie umsonst. Dies gehört zur Strategie der Bundeswehr, um bei der Bevölkerung Sympathien zu wecken und so die Bedrohungslage zu entschärfen. Auch bildet die Bundeswehr in Masar-i-Scharif afghanische Ärzte fort. Gleichzeitig wollen die Deutschen die Entwicklung des afghanischen Gesundheitssystems nicht behindern. Dass der Einsatz am Hindukusch gefährlicher wird, merken Mediziner, die abseits der Militärlager verletzte Soldaten versorgen und ins Lager bringen. Die Einsatzfahrzeuge tragen kein Rotes Kreuz mehr, da sie gezielt von Taliban beschossen wurden. Es werde schwieriger, Leute für den Einsatz in Afghanistan zu finden. Die Personaldecke beim Sanitätsdienst der Bundeswehr ist ohnehin sehr dünn. Das Forum Sanitätsoffiziere, in dem sich in Deutschland rund 130 Mediziner zusammengeschlossen haben, prangert Überstunden, Überbelastung und Missmanagement an. Ruff kennt das Problem, sagt aber: "Die Ärzte in meinem Kontingent sind alle hoch motiviert."

HintergrundVor den Londoner Konferenzen zum Jemen und zu Afghanistan hat die britische Regierung die Warnstufe für die Terrorgefahr am Wochenende auf "ernsthaft" erhöht. Ein Terroranschlag werde als "sehr wahrscheinlich" angenommen, teilte Innenminister Alan Johnson unter Berufung auf Geheimdienstinformationen mit. Ein Teil des Flughafens von Manchester wurde am Samstag vorübergehend gesperrt - ein Fehlalarm. Die Heraufsetzung der Warnstufe diene dazu, die Öffentlichkeit zu erhöhter Aufmerksamkeit aufzurufen, erläuterte der Anti-Terror-Experte Alex Carlile. afp

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