Globalisierungskritik auf dem Prüfstand

Porto Alegre. Porto Alegre rüstet sich für ein besonderes Weltsozialforum. Es wird kein Massenereignis wie 2005, als 150 000 Globalisierungskritiker aus aller Welt in die südbrasilianische Millionenstadt strömten. Beim Forum zum zehnten Geburtstag in diesem Jahr treffen sich vor allem lokale und regionale Initiativen

Porto Alegre. Porto Alegre rüstet sich für ein besonderes Weltsozialforum. Es wird kein Massenereignis wie 2005, als 150 000 Globalisierungskritiker aus aller Welt in die südbrasilianische Millionenstadt strömten. Beim Forum zum zehnten Geburtstag in diesem Jahr treffen sich vor allem lokale und regionale Initiativen. Ein Höhepunkt wird das internationale Strategieseminar, bei dem auch die drei Gründerväter des Forums zu Wort kommen. Im Februar 2000 präsentierten die Brasilianer Chico Whitaker und Oded Grajew in Paris ihrem Freund Bernard Cassen von der linken Monatszeitung "Le Monde Diplomatique" die Idee einer Gegenveranstaltung zum Davoser Weltwirtschaftsforum. Die globalisierungskritische Bewegung war gerade durch das Scheitern der Welthandelskonferenz in Seattle beschwingt, und Attac-Mitglied Cassen war Feuer und Flamme. Er schlug Porto Alegre als Veranstaltungsort vor, dessen Beteiligungshaushalt gerade in Europa als Modell kommunaler Demokratie Furore machte. Im Januar 2001 kamen gut 15 000 Aktivisten zum ersten Weltsozialforum. Nach einer transatlantischen Videokonferenz mit Davos, wo sich jedes Jahr ein ausgewählter Kreis von Staats- und Konzernchefs trifft, war der gewünschte Gegenpol zum "neoliberalen Einheitsdenken" hergestellt. 2004 fand der Mega-Event im indischen Mumbai (Bombay) statt - ein Qualitätssprung, wie Chico Whitaker findet: "Auf einmal standen nicht mehr weiße Mittelschichtsintellektuelle im Vordergrund, sondern die Massen der Ausgegrenzten." Für ihn war es eine Bestätigung jener "Horizontalität", die er als Grundprinzip verteidigt. "Das Gegenmodell schlechthin zum Neoliberalismus gibt es ja nicht! Und schon gar nicht könnte es dekretiert werden, es muss von unten nach oben wachsen, sonst hat es tönerne Füße", ist er überzeugt. "Der soziale Wandel vollzieht sich durch langsames Eindringen, nicht spektakulär", betont der 78-Jährige. Deswegen ist er ein Befürworter der Dezentralisierung, wie sie dieses Jahr praktiziert wird. Bernard Cassen hingegen fordert die Überwindung der Unübersichtlichkeit: Lange genug habe die Weltbürgerbewegung ihre Alternativen zum Neoliberalismus präsentiert, nun müsse das Weltsozialforum endlich als "gemeinsame Plattform" Einfluss auf die Politik nehmen. Besondere Hoffnungsträger sind aus dieser Perspektive die linken Präsidenten aus Südamerika. Zum Regionaltreffen in Porto Alegre (25. bis 29. Januar) kommen der Brasilianer Luiz Inácio Lula da Silva, Fernando Lugo aus Paraguay und der Uruguayer José Mujica. "Wenn es nach dieser Strömung ginge, würde der Venezolaner Hugo Chávez das Forum eröffnen nach dem Motto: Die Regierung wird's schon richten", spottet Whitaker. Dieser lange schwelende Disput wird auch auf dem Strategieseminar fortgesetzt werden. Breiter Konsens herrscht darüber, dass Weltfinanzkrise und Klimawandel die Abkehr vom Kapitalismus erfordern. So setzen Urvölker und Intellektuelle aus den Andenländern Ecuador, Peru und Bolivien auf die Vision vom "Guten Leben". Das Konzept passt gut zur Debatte um Gemeingüter. Ziel sei eine Gesellschaft, "die jenseits von Markt und Staat Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen und bessere Lebensbedingungen für alle" biete, erklärt die deutsche Publizistin Silke Helfrich, die dazu in Porto Alegre referiert. Meinung

Gemeinsame Strategie nötig

Von SZ-RedakteurinSabine Schorr Seit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise werden sie mit anderen Augen gesehen: die Teilnehmer des Weltsozialforums und ihr Kampf gegen Kapitalismus und Globalisierung. Die Kritik dieser "linken Weltverbesserer" an der internationalen Finanzarchitektur war doch offenbar berechtigt. Aber trotz dieser Aufwertung hat das Sozialforum auch im zehnten Jahr seines Bestehens ein Problem: Das Forum ist ein Sammelbecken unterschiedlicher Interessengruppen, eine gemeinsame Strategie, eine einheitliche politische Linie fehlen. Der interne Streit um Distanz und Nähe zu den linksgerichteten Regierungen Lateinamerikas ist ein Beispiel dafür. Will das Sozialforum stärker Gehör finden, muss es sich künftig mehr um politische Inhalte kümmern und gemeinsame Forderungen formulieren.

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