Brasilianischer Spielverlauf bei Merkels Sommerpressekonferenz

Berlin · Angela Merkel hat nicht nur die CDU im Griff, sondern inzwischen auch die deutschen Journalisten. Das zeigte sich am Freitag bei ihrer Vor-Urlaubs-Pressekonferenz.

Ein komplettes Fußballmatch samt Pause, eine Stunde und 45 Minuten also, steht Angela Merkel rund 200 Hauptstadtjournalisten am Freitag Rede und Antwort. Es ist die übliche Sommerpressekonferenz kurz vor dem Urlaub, in dem es wieder zum Wandern nach Tirol geht. Es gibt wie üblich über 50 Fragesteller. Doch gefühlt ist die Kanzlerin diesmal zu mehr als 95 Prozent im Ballbesitz, und das Spiel endet ähnlich klar zu ihren Gunsten wie das der DFB-Elf gegen Brasilien. Angela Merkel hat nicht nur die Union fest im Griff und ganz gut auch den Koalitionspartner SPD . Sondern inzwischen auch die Presse.

In Brüssel hatte es am Vortag sogar ein peinliches Geburtstagsständchen für die gerade 60 Jahre alt Gewordene gegeben. In Berlin muss ein Blumenstrauß reichen, der etwas verschämt vor dem Saal überreicht wird. Rittersporn und Levkojen. Die Bundespressekonferenz ist eine stolze Institution medialer Unabhängigkeit. Doch bei Merkel fehlt zum Beißen jeder Angriffspunkt. Zwischendurch ist Regierungssprecher Steffen Seibert so entspannt, dass er weit nach hinten gelehnt mit dem Stuhl wippt und die Situation mit überlegenem Grinsen genießt. Merkel sagt auf eine der wenigen kritischen Bemerkungen, dass ihr Regierungsstil unentschlossen sei: "Ich handele, und Sie schreiben und bewerten." Das klingt schon fast wie Per Mertesacker : "Wat wolln se, wir sind weiter."

80 Prozent der Fragen befassen sich ohnehin mit der Außenpolitik. Das liegt natürlich auch an der Zuspitzung in der Ukraine. Der Flugzeugabschuss liegt nach der Zahl der Fragen weit vorne, auch wenn Merkel über das von ihr offiziell Gesagte nicht hinausgeht. Der ernste Vorfall ist wohl der Grund dafür, dass Seibert mit schwarzem Schlips kommt, Merkel in ockerbraun, und dass kleine Witzchen, wie sonst bei dieser Gelegenheit, diesmal unterbleiben.

Auch die vielen anderen außenpolitischen Themen werden angesprochen, vom Verhältnis zu Obama ("Die USA bleiben unser wichtigster Verbündeter") über Israel ("Jedes Land muss sich wehren") bis zum Kosovo. Viele ausländische Korrespondenten nutzen die Gelegenheit, Merkel einmal jene Frage zu stellen, die in ihrem Land ganz besonders interessiert. Aber die Kanzlerin will sich weder in die katalonischen Unabhängigkeitsbestrebungen noch in den mazedonisch-griechischen Namensstreit einmischen.

Am auffälligsten an dieser Pressekonferenz ist, dass innenpolitische Themen eine so geringe Rolle spielen. Es gibt intern einfach keinen richtigen Streit um irgendetwas und auch in der Gesellschaft keine massive Kritik an der Koalitionspolitik. Die Maut wird angesprochen, aber das lässt die Kanzlerin abtropfen. Sie habe nicht gesagt, mit ihr werde es keine Maut geben, sondern keine, die die deutschen Autofahrer zusätzlich belaste. Und die Ansicht, dass bisher viel SPD-Handschrift zu sehen sei, aber wenig CDU kann die Kanzlerin überhaupt nicht nachvollziehen. Schließlich sei das ein gemeinsamer Koalitionsvertrag . "Jedes Gesetz ist ein Große-Koalitions-Gesetz." Einer der Journalisten versucht es mit einer verbalen Provokation, es bleibt die einzige an diesem Tag. Wo denn ihre persönliche Handschrift an den Leistungen der Koalition sei, fragt er, er sehe da nichts. Im ersten Moment ist Merkel konsterniert. Dann grinst sie. "Vielleicht fällt Ihnen ja noch was ein. Irgendwie war ich jedenfalls ganz gut beschäftigt."

Der Fußball liefert die Metapher für den einzigen ungewöhnlichen Moment dieser Veranstaltung. Philipp Lahm , sagt ein Journalist, habe gerade den Rücktritt von der Nationalmannschaft erklärt, offenbar weil er auf dem Höhepunkt seiner Karriere abtreten wolle. Wann denn bei ihr dieser Punkt erreicht sei? Merkel antwortet so, wie sie bisher immer schon geantwortet hat, aber doch mit einer kleinen Akzentverschiebung. Sie sei bei der letzten Bundestagswahl gerne wieder angetreten, und zwar für eine ganze Legislaturperiode. Darauf könnten sich die Menschen in Deutschland "erst mal" verlassen. Alles Weitere werde sie später regeln. Das "erst mal" lässt aufhorchen. Wann ist später, will einer wissen. "Zum richtigen Zeitpunkt, mit Sicherheit nicht heute", antwortet Merkel. Sie könnte ja auch einfach sagen: Mein Amt macht mir Riesenspaß, und ich denke überhaupt nicht über so etwas nach wie Philipp Lahm . Das sagt sie aber nicht.

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