Blutvergießen statt Trauer in der Ukraine

Auf verbrannter Erde liegen die Wrackteile der aus rund 10 000 Metern vom Himmel gestürzten malaysischen Passagiermaschine des Flugs MH017. Die Leichen der fast 300 Passagiere, darunter vier Deutsche, liegen verstreut auf einem Feld in der Ostukraine – in einem Kriegsgebiet mitten in Europa.

Am Absturzort Grabowo nahe der von prorussischen Separatisten kontrollierten Stadt Donezk hat die prowestliche Regierung aus Kiew keinen Zugang.

"Terroristen", so nennt sie der proeuropäische Staatschef Petro Poroschenko am Freitag wieder, hätten die Boeing 777-200 abgeschossen und damit den Krieg in die Ukraine gebracht. Er sieht wie viele nach dem Absturz die Bilder im Fernsehen mit Sorge, wie Separatisten und Anwohner der ländlichen Region mit Trümmerteilen hantieren - und womöglich Spuren beseitigen und vielleicht auch persönliche Gegenstände der Opfer mitnehmen. Es gibt dort wichtige Spuren, die Aufschluss geben könnten über die Ursache dieser bisher größten Tragödie in dem seit April andauernden blutigen Konflikt. Die Zahl der Todesopfer stieg auch am Freitag weiter.

Statt der auch von Deutschland wiederholt geforderten Friedensgespräche ergehen sich Ukrainer, Separatisten und Russen in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Niemand will für den Abschuss des Jets verantwortlich sein.

Kiew legt sich schnell fest auf eine Version: Prorussische Kräfte hätten das Flugzeug abgeschossen. Schon kurz nach dem Absturz am Donnerstag verschicken staatliche Stellen vom Geheimdienst SBU aufgezeichnete Gespräche, die bestätigen sollen, dass "Terroristen" die Maschine vom Himmel geholt hätten - und nicht etwa das eigene Militär.

Die Protokolle gibt es sogar gleich in mehrere Sprachen übersetzt - auch in Deutsch. Als viele noch in ungläubiger Schockstarre sind über den Tod vieler Ausländer, spult die Führung ein ungewohnt professionelles und rasches Programm ab, um Kiews Sicht auf den Fall zu verbreiten. Die Schuld sehen viele in Kiew bei den Russen - insbesondere bei Kremlchef Wladimir Putin. Denn er nennt die Separatisten anders als die ukrainische Regierung nicht Verbrecher, sondern Kämpfer für eine "russische Welt". Erneut appelliert Putin an die Konfliktseiten, die Waffen niederzulegen, den Friedensdialog zu beginnen und über die Zukunft der Ostukraine zu reden. Wer aus seiner Sicht Schuld hat an dem Flugzeugabsturz? "Diese Tragödie wäre nicht passiert, wenn es auf dieser Erde Frieden gäbe, wenn nicht die Kampfhandlungen im Südosten der Ukraine wieder aufgenommen worden wären", sagt Putin.

Er hat Poroschenko immer wieder aufgefordert, eine frühere Waffenruhe zu erneuern. Nach dem Absturz sprechen nun zwar die Separatisten davon, zu einer Feuerpause bereit zu sein. Sie wollen internationalen Experten den sicheren Zugang zur Absturzstelle ermöglichen. Frieden ist damit aber nicht in Sicht.

Im Gegenteil: Es fließt weiter Blut - diesmal sterben viele Menschen in der benachbarten Krisenregion Lugansk, neben der Großstadt Donezk eine Hochburg der Separatisten . In Donezk selbst sprechen Bewohner von einer "gespenstigen Ruhe" nach dem Abschuss des Flugzeuges. In Internetforen wird ein pikantes Detail zum Absturz diskutiert.

Demnach sollen die von dem Russen Igor Strelkow kommandierten Separatisten um die Zeit des Absturzes herum wieder einmal den Abschuss einer Militärmaschine gefeiert haben. Wie zuletzt soll es eine Antonow getroffen haben. War dieses Flugzeug womöglich die malaysische Passagiermaschine?

Es bleiben viele Fragen, viel Unüberprüfbares. Die in der Region vorrückenden Regierungstruppen haben, das ist sicher, selbst Flugabwehrraketen im Einsatz. Das Kampfgebiet liegt direkt an der russischen Staatsgrenze. Geschossen haben aber will niemand.

Das Flugzeugdrama lenkt zudem davon ab, dass die wohl aus Russland mit Technik und Freiwilligen verstärkten Separatisten zuletzt Kampferfolge verzeichneten. Sie kesselten auch Tausende Soldaten ein. Viele Ukrainer ergaben sich, desertierten nach Russland. Im Gebiet Rostow helfen russische Ärzte mehreren Verwundeten, die sich ergaben und die weiße Fahne schwenkten.

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