Es wird eng für den BND-Präsidenten

Berlin · Der Bundesnachrichtendienst steht in der Kritik, weil er der NSA Wirtschaftsspionage ermöglicht haben soll. Auch das Bundeskanzleramt steht unter Beschuss – unter anderem von der mitregierenden SPD.

Nach den jüngsten Spionage-Enthüllungen haben Unionspolitiker Rücktrittsforderungen gegen BND-Präsident Gerhard Schindler vorerst zurückgewiesen. Auch Grünen-Vertreter wollten sich einer entsprechenden Forderung der Linkspartei zunächst nicht anschließen. Sie nahmen gestern das Kanzleramt ins Visier und stellten infrage, ob es seine Aufsichtspflicht gegenüber dem Bundesnachrichtendienst ausreichend wahrgenommen habe. Auch die SPD , Regierungspartner der Union, erhob schwere Vorwürfe gegen das Kanzleramt und den Auslandsnachrichtendienst selbst.

Die Bundesregierung wollte sich nicht zur Zukunft Schindlers äußern. Regierungssprecher Steffen Seibert betonte lediglich, die Bundesregierung stehe weiterhin zur engen Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten in der Terrorismusbekämpfung. "Deutschland und die USA sind Freunde und Partner."

Am Donnerstag war bekannt geworden, dass der BND für die NSA gezielt die Kommunikation europäischer Unternehmen und Politiker ausgehorcht haben soll. Betroffen sein sollen etwa der Rüstungskonzern EADS, der Hubschrauberhersteller Eurocopter oder französische Behörden.

Dem deutschen Auslandsgeheimdienst war demnach in den vergangenen Jahren stückweise klar geworden, dass von den Amerikanern gelieferte Suchkriterien (Selektoren) für den von ihm abgehörten Datenverkehr - etwa Namen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern - deutschen und europäischen Interessen widersprechen.

Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU ), sagte "Spiegel Online": "Ich warne davor, dass man vorschnell den Stab über BND-Chef Schindler bricht. Die Verantwortung muss nicht zwingend bei der Amtsleitung liegen."

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi kritisierte in der "Berliner Zeitung", dem Kanzleramt scheine die Aufsicht über den BND entglitten zu sein. "Ich schließe personelle Konsequenzen ausdrücklich nicht aus." SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte "Spiegel Online": "Im BND scheint es Bereiche zu geben, in denen sich ein von Vorschriften und Rechtslage ungestörtes Eigenleben entwickelt hat." Er sei "entsetzt über das Ausmaß der Desorganisation".

Der Chef des Parlamentsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, André Hahn (Linkspartei), pochte im Bayerischen Rundfunk auf personelle Konsequenzen. Hans-Christian Ströbele, Grünen-Mitglied in dem Gremium, sagte dem Fernsehsender n-tv , er schließe sich den Rücktrittsforderungen gegen Schindler derzeit nicht an. Es gehe vielmehr um die Aufsicht des Kanzleramts.

Meinung:

Gefahr für die Gesellschaft

Von SZ-RedakteurJörg Wingertszahn

So langsam muss man sich fragen, wozu der Bundesnachrichtendienst (BND) überhaupt taugt. Wenn die neuesten Enthüllungen stimmen und der BND jahrelang willfähriger Helfer der amerikanischen NSA war, dann hat die Behörde in dieser Form keine Existenzberechtigung mehr. Wie dämlich kann man denn sein, den US-Spionen bereitwillig Geheimnisse aus der deutschen Wirtschaft und Rüstung zugänglich zu machen? Und über diese Machenschaften offenbar die Kontrollaufsicht - das Kanzleramt - und den Deutschen Bundestag zu belügen. Wer sich als BND-Verantwortlicher dafür hingibt, ist weder fachlich noch moralisch für diesen Job geeignet. So stellt der BND eine Gefahr für die Gesellschaft dar.

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