Rennen um Amt des EU-Kommissionspräsidenten Merkel in Brüssel unter Beschuss

Brüssel · Streit in der EVP-Fraktion: Die deutsche Bundeskanzlerin erntet für ihr Abrücken von Manfred Weber als möglichen Kommissionspräsidenten heftige Kritik.

Manfred Weber scheint nur noch wenig Chancen zu haben, EU-Kommissionschef zu werden. 

Manfred Weber scheint nur noch wenig Chancen zu haben, EU-Kommissionschef zu werden. 

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Mit einem heftigen Streit zwischen den Parteienfamilien hat am gestrigen Sonntagabend in Brüssel ein Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs begonnen, das eine Lösung der Krise um die künftige Führung der Union bringen sollte. Auslöser war ein Kompromissvorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk, dem Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des G20-Gipfels in Osaka offenbar bereits zugestimmt hatte. Dieser Vorschlag sah vor, dass die Christdemokraten ihren Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Manfred Weber, fallen lassen und stattdessen einen Sozialdemokraten als neuen Kommissionspräsidenten mittragen. Weber, so war zuvor durchgesickert, wollte man den EU-Abgeordneten als neuen Parlamentspräsidenten empfehlen. Gegen diesen Beschluss gab es im Laufe des Abends heftigen Widerstand aus Merkels eigenen Reihen. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán bezeichnete es als „Demütigung“, dass die Christdemokraten den Vertreter einer anderen Partei zum Kommissionspräsidenten wählen wollten. Bojko Borissov, Regierungschef aus Bulgarien, betonte, die Europäische Volkspartei (EVP) stehe „konsequent“ hinter Weber. Mitarbeiter des CSU-Politikers streuten am Abend den Hinweis, Weber werde „ganz sicher nicht“ neuer Parlamentspräsident.

Widerstand gab es allerdings auch gegen die Wahl des Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, den Niederländer Frans Timmermans, bisher Vizepräsident der EU-Kommission. Vor allem die Vertreter der vier Ost-Mitgliedstaaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn lehnten eine Beförderung des früheren niederländischen Außenministers strikt ab. „Diese Person ist nicht diejenige, die Europa eint“, sagte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis. Der Niederländer hatte gegen einige dieser Regierungen Verfahren wegen Demokratiedefiziten und Verstößen gegen die Rechtstaatlichkeit eröffnet. Auch der italienische Premier Guiseppe Conte lehne Timmermans strikt ab, hieß es. „Da reichen noch zwei zusätzliche Enthaltungen und schon ist Timmermans gescheitert“, sagte ein ranghoher EU-Diplomat gegenüber unserer Zeitung. Vor diesem Hintergrund galt zu Beginn der Beratungen am Sonntagabend die populäre EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager weiter als mögliche Kompromisskandidatin für den Chefsessel der mächtigsten EU-Behörde. Sie gehörte zu einem Führungsteam der Liberalen bei der Europawahl.

Damit war schnell klar: Keiner der Spitzenkandidaten, mit denen die großen Parteienfamilien in die Europawahl gegangen waren, schien die notwendige Mehrheit (21 Stimmen) im Kreis der Staatenlenker erreichen zu können. Vor allem die Chancen Webers waren nach der deutlichen Ablehnung durch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sowie etlicher weiterer Premierminister scheinbar aussichtlos gesunken. Diplomaten ließen am Abend durchblicken, dass man versuchen könnte, die Osteuropäer mit Zusagen für höhere Subventionen in der nächsten Finanzperiode ab 2021 zu „ködern“.

Als Nachfolger von EU-Ratspräsident Donald Tusk, dessen Amtszeit auch im Oktober ausläuft, wurde gestern der bisherige belgische Premierminister Charles Michel gehandelt, der der liberalen Parteienfamilie angehört. Neue Außenbeauftragte der EU könnte eine Politikerin aus dem Osten werden. Dieses Personaltableau dürfte dennoch für Deutschland nicht ohne Reiz sein: Denn die Chancen für eine Berufung von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann an die Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) seien „mit diesem Konzept erheblich gestiegen“, war in Brüssel zu hören. Gegen ihn hatte es zuletzt massiven Widerstand einiger Staaten gegeben. Wen die Bundesregierung dann als deutschen EU-Kommissar nach Brüssel schickt, ist offen. Angeblich gelten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) als mögliche Kandidaten.

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