EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „Ich kann den Frust nachvollziehen“

Brüssel · Die EU-Kommissionspräsidentin spricht über die Lehren aus der Pandemie und das, was die Europäische Union im Kampf gegen Corona als nächstes angehen will.

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Die Europäische Union hat Fehler gemacht – bei der Bestellung und Beschaffung von Impfstoffen gegen das Coronavirus. Sie steht im Mittelpunkt der Kritik: die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht sie über Versäumnisse und die Lehren für die Zukunft. Und sie hält an einem wichtigen Bekenntnis fest: Der europäische Weg sei die richtige Entscheidung gewesen.

Die Impfungen sind schleppend und auch nicht so wie versprochen angelaufen. Können Sie verstehen, dass die Menschen verärgert sind?

VON DER LEYEN Ja, ich kann die Frustration der Menschen und auch derjenigen, die in den Impfzentren arbeiten, gut nachvollziehen. Es sind zwei Dinge zusammengekommen. Wir haben schneller wirksame Impfstoffe gefunden, als es zu erwarten war. Normal dauert das fünf bis zehn Jahre. Das ist eine großartige Leistung der Wissenschaft. Aber wir wussten nicht, dass das Hochfahren der Massenproduktion und das Überwinden von Anfangsproblemen so schwierig sein würde. Ich verstehe die Ungeduld sehr gut, dass die Bürger jetzt, wo der Impfstoff da ist, auch so schnell wie möglich geimft und endlich geschützt sein wollen.

Die CSU hat am Montag eine „Liste des Versagens“ in Umlauf gebracht, in der gleich reihenweise die Versäumnisse der EU-Kommission angeprangert werden. Ärgert Sie das?

VON DER LEYEN Kritik gehört dazu. Aber ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn heute nur zwei oder drei Länder Zugang zu Impfstoffen hätten und der Rest der Europäischen Union leer ausgegangen wäre. Das hätte unsere Gemeinschaft zerrissen. Hinzu kommt: Eine solche Entwicklung wäre Gift für den Binnenmarkt gewesen. Denn unsere Wirtschaft – auch die deutsche – ist miteinander verflochten und nur deshalb so stark, weil wir enge Beziehungen zu unseren Nachbarn haben. Insofern bleibt der europäische Weg trotz aller Hindernisse die richtige Entscheidung.

Die gemeinsame Einkaufsstrategie war richtig?

VON DER LEYEN Ja, dank des europäischen Ansatzes haben wir heute ein breites Angebot an Impfstoffen, die wir auch gegen die Mutationen nutzen können. Wir haben auf sechs Hersteller gesetzt, drei davon sind inzwischen zugelassen und weltweit nachgefragt, zwei befinden sich kurz vor der Zulassung. Unsere Strategie ist aufgegangen. Wir haben auf die richtigen Pferde gesetzt. Bisher wurden 41 Millionen Dosen ausgeliefert und es kommen absehbar deutlich größere Mengen.

Wir haben zwar drei zugelassene Impfstoffe, aber einer davon aus dem Hause Astrazeneca bleibt nicht nur in Deutschland liegen. Wurde das Vakzin im Streit mit dem Hersteller regelrecht kaputtgeredet?

VON DER LEYEN Ich würde mich mit dem Vakzin von Astrazeneca genauso bedenkenlos impfen lassen wie mit den Produkten von Biontech/Pfizer oder Moderna. Als wir vor zehn Monaten anfingen, aus den Hunderten von Kandidaten die vielversprechenden herauszusuchen, gingen wir von einer Wirksamkeit zwischen 50 und 70 Prozent aus. Nun liegen alle darüber. Das Vakzin wurde sorgfältig geprüft, für sicher und wirksam befunden und zugelassen.

Aber Europa hinkt bei den Impfstoffen hinterher.

VON DER LEYEN Wir holen auf. Großbritannien hat 17 Millionen erste Dosen verimpft. In der EU sind es 27 Millionen. In Italien mit einer ähnlichen Bevölkerungsgröße wie Großbritannien erhielten sogar schon doppelt so viele Bürger mit der zweiten Dosis den vollen Impfschutz wie im Vereinigten Königreich.

Wird im zweiten Quartal wie versprochen alles besser?

VON DER LEYEN Die Lage wird sich spürbar bessern. Wir merken, dass zum Beispiel Biontech mehr Dosen ausliefert als zunächst angenommen, weil die Produktion schneller wird. Außerdem kommen die vielen Millionen Dosen aus dem zweiten Vertrag mit Biontech hinzu. Und Johnson&Johnson steigt ein.

Können Geimpfte bald wieder reisen und Freiheiten zurückbekommen? Wann gibt es einen Impf-Pass?

VON DER LEYEN Das Impfzertifikat bleibt der erste Schritt und ist schon aus medizinischer Sicht wichtig, weil wir Wirkungen und Nebenwirkungen beobachten müssen. Ob man daraus auch einen Impf-Pass machen kann, der wieder mehr Freiheit zurückgibt, diskutieren wir morgen auch mit den EU-Staats- und Regierungschefs. Denn das ist eine politische Frage. Ich finde wichtig, dass jeder eine faire Chance bekommt daran teilzuhaben. Ob das in Form eines Impfangebotes ist oder auf andere Weise. Da sind wir aber noch nicht.

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