Schatten über Ägyptens Zukunft

Ägyptens Übergangsführung frohlockt, nennt die offiziell 98,1 Prozent Zustimmung zu ihrem Verfassungsentwurf „überwältigend“. Das Votum erinnert aber fatal an die manipulierten Volksabstimmungen der Mubarak-Diktatur.

Das vom Militär gestützte Übergangsregime versucht wohl, die niedrige Wahlbeteiligung zu kaschieren. Sie übertraf mit 38,6 nur um fünf Prozent jene des Referendums über die alte Verfassung, die der islamistische Ex-Präsident Mursi durchgepeitscht hatte.

Dennoch sieht sich Ägyptens "starker Mann", Generalstabschef Al-Sisi, legitimiert in dem von ihm inszenierten Putsch gegen Mursi vom 3. Juli und der Kriminalisierung seiner Muslimbruderschaft. Sisi hat auf diese durch massive Propaganda geförderte Zustimmung gewartet, um seine Bereitschaft zum Aufstieg in das höchste Staatsamt zu verkünden. Der Weg zur Sisi-Republik ist frei. Die Ankündigung von Präsidentschaftswahlen im März steht bevor.

Sisi verweist darauf, dass er keineswegs nur das säkulare Ägypten hinter sich habe. Billigt doch die höchste Autorität des sunnitischen Islam im Land die Verfassung - wie auch die salafistische Nur-Partei. Letztere wird aber vom Ehrgeiz getrieben, den Platz der Moslembrüder als stärkste islamistische Strömung einzunehmen.

Der Ausgang des von der Moslembruderschaft boykottierten Referendums zeigt indes, dass ein großer Teil der Bevölkerung, die 2011 gegen Mubarak aufstand, Stabilität gegenüber Demokratie und Freiheit den Vorrang gibt und - vorerst - auch bereit ist, gravierende Nachteile in Kauf zu nehmen. Dazu zählt die Rückkehr der alten Elite Mubaraks, die den Verlust der revolutionären Errungenschaften von 2011 besiegelt. Den Beweis dafür liefert teilweise die neue Verfassung, in der zwar formal größere Freiheiten verankert sind, die aber durch weit stärkere Machtbefugnisse der Streitkräfte aufgehoben werden. Vor allem aber: Der wahre Wert von Verfassungsdokumenten liegt in der Bereitschaft der Mächtigen, sie in die Tat umzusetzen. Die Signale dafür könnten kaum schlimmer sein: Gleichschaltung der Medien, Kriminalisierung journalistischer Kritiker, Massenverhaftungen von friedlichen Demonstranten. Allein seit Juli 2012 wurden mehr als 21 000 Ägypter inhaftiert.

Die größte Gefahr für Ägypten liegt in der dokumentierten Bereitschaft der Militärführung, Kritiker und Gegner erbarmungslos auszuschalten. Die Radikalisierung insbesondere der islamistischen Unterdrückten lastet als düsterer Schatten über der Zukunft des Landes. Schon malen Analytiker das Schreckgespenst der grausigen Rebellion der um ihren Wahlsieg in den 80er Jahren betrogenen algerischen Islamisten an die Wand, die 200 000 Menschen das Leben gekostet haben.

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