Europa darf nicht länger Schwarzer Peter spielen

Brüssel · Die Bürger sind enttäuscht von der EU. Egal ob Wirtschafts-, Finanz- oder Migrationskrise - Europa wirkt hilflos und getrieben. Europas Aufgabe in einer zunehmend globalisierten Welt ist, für seine Bürger Sicherheit zu organisieren. Dabei bedeutet Sicherheit heute nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch innere Sicherheit, soziale Sicherheit, den Schutz der eigenen Daten und die Verteidigung der Demokratie. Doch genau hier hakt es. Die Außen- und Sicherheitspolitik , die Wirtschaftspolitik, die Steuerpolitik und die Zusammenarbeit von Justiz und Polizei unterliegen zum großen Teil der Einstimmigkeit im Rat der Mitgliedstaaten, was die EU oft an den Rand der Handlungsunfähigkeit führt. Nicht wegen, aber trotz der EU sehen sich die Menschen mit sozialer Ungleichheit, Migrationsdruck, außenpolitischen Krisen und Terrorismus konfrontiert.

Europa muss wieder zur Hoffnung für eine bessere Zukunft werden. Nur so werden wir die Herzen der Menschen für die europäische Idee zurückgewinnen. Gerade deshalb darf es jetzt kein "Weiter so" geben. Es ist nicht damit getan, an ein paar Stellschrauben zu drehen - das europäische Haus braucht eine Generalsanierung. Dazu gehört auch, das Fundament und die Institutionen auf den Prüfstand zu stellen.

Wir sollten bei der Frage anfangen, was unsere gemeinsamen Werte und Interessen sind, und dann diskutieren, welche Aufgaben die europäische Ebene übernehmen soll und welche Mittel und Instrumente sie braucht, um diese effektiv und effizient zu erfüllen. Die Angst, dies könne zu einem europäischen Superstaat führen, ist ein von Anti-Europäern aufgebautes Schreckgespenst, das mit der Realität nichts zu tun hat, aber nur schwer aus den Köpfen zu verbannen ist.

Ziel der Reformen sollte eine föderale Ordnung mit klarer Kompetenzaufteilung und eindeutigen Verantwortlichkeiten sein. Die EU benötigt in Kernbereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik , der Wirtschafts- und Fiskalpolitik und der Migrationspolitik die notwendigen Kompetenzen, um unsere Interessen in der Welt zu verteidigen. Sie muss ohne nationale Vetos in demokratischen Verfahren Leitplanken für ein sozial gerechtes, wirtschaftlich starkes Europa setzen können. Die auf europäischer Ebene beschlossenen Maßnahmen sollten künftig durch eine europäische Regierung umgesetzt werden, die dafür auch verantwortlich zeichnet. Die Kontrolle, Berufung und gegebenenfalls Entlassung der Regierung würde dem Europäischen Parlament als Bürgerkammer und dem Rat als Staatenkammer obliegen.

Eine solche neue Ordnung würde für die Bürgerinnen und Bürger Klarheit im Hinblick auf die Entscheidungen bringen und eine bessere demokratische Kontrolle ermöglichen. Das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Mitgliedstaaten und europäischer Ebene hätte ein Ende, was auch der schizophrenen Doppelkritik an der "allmächtigen" und dann wieder "handlungsunfähigen" EU das Wasser abgraben würde. Zugleich könnte die Union sich auf die großen globalen Herausforderungen konzentrieren und diese auch bewältigen. Dadurch stärkt man die Zustimmung und das Vertrauen der Bevölkerung in das europäische Projekt. Jo Leinen (SPD ) ist saarländischer Abgeordneter im Europäischen Parlament und Präsident der Europäischen Bewegung International (EMI ).

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