Ein Jahrhundertschritt

Meinung · Die Zahl derer, die den gestrigen Montag als historischen Tag in der europäischen Geschichte wahrgenommen haben, dürfte gering sein. Mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist mehr Angst als Zuversicht verbunden. Dabei betritt die Währungsunion nach immer neuen Hilfspaketen und Rettungsschirmen mit dem ESM in Wahrheit weitgehend Neuland

Die Zahl derer, die den gestrigen Montag als historischen Tag in der europäischen Geschichte wahrgenommen haben, dürfte gering sein. Mit der Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist mehr Angst als Zuversicht verbunden. Dabei betritt die Währungsunion nach immer neuen Hilfspaketen und Rettungsschirmen mit dem ESM in Wahrheit weitgehend Neuland.Zum ersten Mal verfügt die Union derer, die den Euro bereits eingeführt haben, über ein Finanzinstrument, das mit dem Internationalen Währungsfonds vergleichbar ist. Es ist nicht nur ein Netz für strauchelnde Mitgliedstaaten, sondern auch eine Versorgungskasse für klamme Regierungen, die für frisches Geld Rekordzinsen zahlen müssten. Das ist in der Tat ein Jahrhundert-Schritt für Europa. Nie zuvor haben sich diese Länder so viel gegenseitigen Beistand versprochen und dadurch klar gemacht, dass sie sich auch von Spekulanten nicht auseinanderdividieren lassen.

Von Untergangspropheten wird der ESM allzu gerne genutzt, um das Ende unserer Währung sowie das Ausbluten Deutschlands zu beschwören. Tatsächlich aber hat die Bundesrepublik mit ihrem Anteil an der Krisenbewältigung bisher nur Vorteile erwirtschaftet. Wir verdienen nicht nur prächtig an den Zinsen für ausgegebene Kredite, sondern auch noch an den damit finanzierten Investitionen. Der Export-Vize-Weltmeister nimmt, wenn er gibt.

Trotzdem gehört die Bereitschaft, die Wirtschaft der Pleitestaaten wieder aufzubauen, in ihre Wettbewerbsfähigkeit zu investieren, zu den großen Versprechen der europäischen Historie. Dem Vorwurf eines kalten Kapitalismus widerspricht die Absicht, selbst potenzielle Konkurrenz wieder aufzupäppeln, diametral. Der ESM ist ein Instrument der Solidarität. Das sollten auch jene einsehen, die kritisieren, dass Deutschland strikt daran festhält, die Auszahlung von ESM-Geld mit dem Zwang zu Reformen zu verbinden. Denn dabei geht es nicht um Hindernisse auf dem Weg zum Überleben, sondern um die Abkehr von ineffizient gewordenen Staatswesen. Die Auflagen an die Empfängerstaaten sind nicht unanständig. Vielmehr ist ohne diesen Reformkatalog eine Rückkehr zu einer gesunden Ökonomie schlichtweg nicht möglich. Bei allem Verständnis für die schwierige Lage, in die Empfänger von Sozialleistungen in den betroffenen Krisenstaaten durch die verlangten Kürzungen gebracht werden: Die Alternative heißt eben nicht weitermachen wie bisher - sondern Staatspleite.

Europa hat sich mit dem ESM für den Kampf gegen die Spekulanten wehrhaft gemacht. Wenn sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, ist die Gemeinschaft damit trotz ihrer derzeit schwachen Mitglieder deutlich stärker geworden.

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