Fernsehen Guckst Du noch – oder hast Du schon abgeschaltet?

Meinung · Man muss wohl schon dezent ergraut, in den Augen der You-Tuber also „uralt“ sein, um sich daran noch zu erinnern. An diese Montage danach. Als man sich auf dem Schulhof oder im Büro etwa über einen Schimanski-„Tatort“ heiß reden konnte.

ÜS
Foto: SZ/Robby Lorenz

Und selbst anno 2000 konnte Florian Illies noch getrost, als er die „Generation Golf“ auf einen Nenner brachte, den deutschen Fernsehsamstagabend als Gesamterlebnis festschreiben: frisch gebadet im Bademantel „Wetten dass...?“ gucken. Das ist für die aktuellen Fortysomethings schöne Erinnerung und Pflichtteil ihrer Jugend.
  Und heute? Vernachlässigt man mal die Fußball-WM, hat das Fernsehen als Stifter nationaler Gemeinschaftsmomente abgewirtschaftet. Dass sich zig Millionen in Deutschland vor der Mattscheibe, dem elektronischen Altar, zur Andacht versammeln: vorbei! Längst sind es nicht mehr nur jene, die bereits mit elastischen Daumen in die Smartphone-Welt hinein geboren wurden, die „lineare Wahrnehmung“ ablehnen. Auch merklich Über-30-Jährige sträuben sich mittlerweile dagegen, sich diktieren zu lassen, wann sie was gucken. Bedeutet das Online-Lebensgefühl doch: alles zu jeder Zeit können, aber nichts müssen. Die Abwanderung der Werbe-Milliarden ins Netz macht nur zu deutlich, wie alt das einst moderne Fernsehen inzwischen aussieht.
  Wer sich noch fürs Fernsehen interessiert, was nach wie vor in Deutschland Millionen sind, schaut aber immer öfter, wann’s gerade beliebt. Ohnehin wird der einstige Schirm zur Welt eher als Videothek genutzt – zu der man aber nicht mehr hinfahren muss. Dazu rollen Netflix & Co. den Markt auf. Dies bedeutet aber leider auch, dass die zu Recht hochgelobten journalistischen Inhalte von ARD und ZDF zunehmend unter Quoten- und somit Rechtfertigungsdruck geraten. Obwohl es in diesen Tagen bewusster Desinformation, sei es von Donald Trump oder durch angebliche Volksbewegungen wie Pegida, gerade das Gegengift seriöser Information so nötig braucht. So gesehen erweisen sich die Zwangsgebühren fürs ÖffentIich-Rechtliche tatsächlich mal als sinnvoll. Obgleich jeder Qualitätsjournalismus solche Unabhängigkeits-Sicherung verdiente.
  Das Beispiel nun des TV-Niedergangs könnte einen leicht in den Kulturpessimismus treiben. Schließlich schuf das Fernsehen über Jahrzehnte – vom Durbridge-Straßenfeger der 60er bis zu „Wetten dass...?“ – Erlebnisse, die auch Klebstoff der Gesellschaft waren. Das Fernsehen als Lagerfeuer, an dem man sich sammelte, aber wird durch die digitale Revolution gerade ausgetreten. Und das ist bloß ein Indikator für weithin zersplitternde Interessen. Worauf aber kann man sich dann heute tatsächlich noch verständigen? Und vor allem: Was verbindet auch emotional? Tatsächlich ist Ersatz fürs Kollektivgefühl nicht in Sicht, nicht mal zu ahnen, gleichwohl alle Welt doch vernetzt ist. Ganz sicher aber ist, dass wir es dringend brauchen. Denn eine Gesellschaft lässt sich nicht nur mit dem Kopf, mit dem Appell an gute Werte zusammenhalten. Sie braucht auch das gemeinsame Bauchgefühl.

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