Trauerfeiern für den Ex-Kanzler Helmut Kohls letztes Werk für sein Europa

Es war der Abschied von Helmut Kohl. Und zugleich eine Feier seiner Idee von Europa. In Straßburg fand am Samstag keine „Monumentalisierung“ des deutschen Einheitskanzlers statt. Weil die Redner es schafften, den Menschen zu würdigen und seine grundsätzlichen Vorstellungen in Erinnerung zu rufen. Die Collage der Augenblicke, in denen Kohl Brücken zu ehemaligen Feinden und Gegnern geschlagen hatte, wurde zu seinem Gesamtbild des Auftrags, den die Europäische Union bis heute hat. In manchen Momenten fragte man sich sogar, wie die, die Kohls Wirken so lobten, die Kluft zur heutigen Wirklichkeit, die sie selbst verantworten, überhaupt aushalten. Oder wie sie das Erbe, das sie in Straßburg beschworen, so sehr verraten konnten.

Die europäische Trauerfeier gelang mit beispielloser und erhoffter Würde, weil durch den Dank an den Menschen und Politiker stets sein Anliegen und sein Traum durchschimmerten, dem jahrhundertelangen Drängen nach Vorherrschaft eines Volkes über ein anderes den Garaus zu machen. Und Europa als eine Gemeinschaft von Völkern zu entwickeln, die deutsch oder französisch oder polnisch oder französisch bleiben, aber europäisch leben können. Der Egoismus, der Nationalismus waren nicht sein Ding.

Es blieb in Straßburg zum Glück bei Erinnerungen an das Erreichte. Was daraus für das, was noch erreicht werden soll, an Schlüssen zu ziehen ist, musste dabei jeder für sich begreifen. Gerade deshalb war diese erste europäische Trauerfeier in einem Ausmaß Würde-voll, wie es ein deutscher Staatsakt niemals hätte sein können. Mehr noch: Die Zweiteilung in ein europäisches und ein deutsches Gedenken kam dem, was Helmut Kohl wollte, mit Sicherheit sehr nahe. In Straßburg gab es kein gespieltes, irgendwie bedrückendes Pathos, sondern vor allem tiefe Versöhnung, die sogar die kleinlichen Reibereien im Vorfeld der Trauerfeierlichkeiten vergessen machte. Nur die privaten Zerwürfnisse überschatteten das Gedenken, dem man gerne diese letzte vergebende Harmonie gewünscht hätte.

Der Verzicht auf jede Rührseligkeit machte den Blick auf etwas anderes frei: Was auch immer die heutige Generation von dem politischen Werk des Alt-Kanzlers halten mag, in einer Hinsicht bleibt er ein Vorbild für die Enkel-Generation, die inzwischen die Geschicke leitet: Für diesen deutschen Kanzler war die europäische Vereinigung eine Herzensangelegenheit und kein bloßes Kalkül. Die Bereitschaft, jahrhundertealte Feindbilder und Ressentiments zu durchbrechen, einstigen Gegnern und Feinden die Hand zu reichen und daraus etwas Neues zu schaffen, ist und bleibt beispielhaft.

Man kann nicht Kohl würdigen und selbst für Zerwürfnisse sorgen. So wurde diese Trauer-Zeremonie im Straßburger EU-Parlament auf eine hinterfragende Weise kostbar, ohne zu einem allzu plumpen Aufruf für mehr Einigkeit in der Gegnenwart zu verkommen. Die damaligen und heutigen Führer zusammengeführt zu haben, darf man deshalb zu Recht als letztes Werk des verstorbenen Alt-Kanzlers verstehen.

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