Leitartikel zur Redefreiheit in Deutschland Lucke, die Antifa und die Moral im Meinungsstreit

Die Störaktionen gegen Ex-AfD-Chef Lucke an der Hamburger Uni haben die Debatte um Redefreiheit in Deutschland befeuert. Nicht Sprechverbote oder mangelnde Resonanz auf bestimmte politische Positionen sind aber verantwortlich für das Gefühl eingeschränkter Meinungsfreiheit in Deutschland, sondern ein vorschnelles Moralisieren in der gesellschaftlichen Debatte.

 Ulrich Brenner

Ulrich Brenner

Foto: SZ/Lorenz, Robby

Über diese Bilder von der Uni Hamburg freuen sich auch Rechtsextreme: Ein Professor, als konservativer Politiker gescheitert, will seine Studenten in die Makroökonomie einführen, aber linke Randalierer verdrängen ihn mit Gewalt vom Pult. Fast irritierender als der Auftritt von Antifa-Extremisten gegen AfD-Gründer Bernd Lucke war die lasche Antwort der grünen Wissenschaftssenatorin. Sie ließ im Nebel, ob sie mit der „diskursiven Auseinandersetzung“, die die Universitäten „insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte“ aushalten müssten, nicht auch die „Nazi“-Rufe der Antifa gegen Lucke meinte. Zur Erinnerung: Der Euro-Kritiker hatte die AfD verlassen, gerade weil sie ins Völkische abdriftete.

Diese Ereignisse sind manchem spektakulärer Beleg für den Verlust an Meinungsfreiheit, den nach der jüngsten Shell-Studie auch viele junge Leute in Deutschland beklagen. Richtig ist aber, dass solch faschistoide Aktionen Linksextremer an Unis nicht neu sind. Und es fällt auch schwer, in Deutschland einen Rückgang der Meinungsfreiheit im engeren Sinne zu belegen. Erst jüngst hat ein Gericht sogar schwerste Beleidigungen gegen die Grüne Renate Künast abgesegnet. Und gerade auf der äußersten Rechten finden extreme Positionen einen immer größeren Resonanzraum. Je mehr sagen, „das wird man doch noch sagen dürfen“, desto mehr tun es. Das Gefühl mangelnder Meinungsfreiheit rührt wohl auch daher, dass schnell Widerspruch kommt. Aber wer etwa behauptet, Messerstecher seien alles Araber, darf sich nicht beklagen, wenn man klarstellt, dass die Polizeistatistik das nicht hergibt. 

Unter Einschränkung von Redefreiheit verstehen viele aber eher die moralische Stigmatisierung bestimmter Positionen in der öffentlichen Debatte. Und die gibt es. Ja, nach links wird eher argumentiert, nach rechts moralisiert. Vereinfacht gesagt: Wer Kommunismus fordert oder unbegrenzte Zuwanderung, muss nicht seine Motive rechtfertigen, sondern nur über negative Folgen diskutieren. Wer mehr Kapitalismus oder die Grenzen schließen will, gilt dagegen als schlechter Mensch. Es gibt diese Asymmetrie im politischen Diskurs. Allerdings folgt sie keiner Strategie der „Mainstream-Medien“, sie ist vielmehr fast folgerichtig. Die Linke treibt nun mal positiv besetzte Begriffe wie Offenheit und Gleichheit (vielleicht auch gefährlich) auf die Spitze, die Rechte aber stellt sie infrage. Wer Abschottung oder Ungleichheit predigt, muss sich tatsächlich eher moralisch hinterfragen lassen. Aber deswegen ist nicht jedes Argument gegen Zuwanderung unmoralisch, manches verantwortungsethisch. Dass hier oft nicht unterschieden wird, begründet zum Teil die Wahrnehmung mangelnder Redefreiheit.

Zum Diskus gehört, zuzuhören, ob der andere aus moralisch akzeptabler Position heraus zu anderen Schlüssen kommt. Eine undifferenzierte Herablassung gegenüber allem, was nicht Beschlusslage von Linken, Grünen, SPD, Union oder FDP ist, bereitet den Boden für jene, die wie in Hamburg die Freiheit von Rede und Lehre zerstören wollen. Und sich darin mit der radikalen Rechten einig sind. 

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