Einigung über neuen Brexit-Vertrag Ein Deal mit Verfallsdatum, der nur Johnson nutzt

Erleichterung, Freude, Optimismus über ein gelöstes Problem – all das würde man erwarten, wenn ein Deal geschlossen wurde. Doch nichts davon ist angesichts dieser Brexit-Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich angebracht.

 Format: jpg KK-Detlef Drewes

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Foto: SZ/Lorenz, Robby

An die Stelle einer relativ einfachen Backstop-Lösung zur Sicherung des Friedens in Nordirland und zum Schutz des Binnenmarktes soll nun ein kompliziertes bürokratisches Zoll- und Steuersystem treten, dessen juristische Feinheiten noch nicht vereinbart wurden. Das macht den ausgehandelten Vertrag zu einem Blankoscheck, der in wesentlichen Teilen über das frühere Austrittsabkommen nicht hinausgeht. Der Vertrag klärt nichts, er beseitigt die Gefahr eines Brexits ohne Abkommen ebenso wenig wie er einen geordneten Austritt leichter macht.

Bei der in politischen Konflikten wichtigen Frage, wem das Abkommen nützt, gibt es nur eine Antwort: Boris Johnson. Der britische Premierminister hat die Gemeinschaft endlich dort, wo er sie haben wollte: Sie ist auf ihn zugegangen, so dass er sich nun zu Hause als derjenige präsentieren kann, der den Brexit durchzieht und sogar einen Deal vorweisen kann – welch ein Geschenk für einen Politiker, der längst in den Wahlkampf-Modus gewechselt ist. 

Die Staats- und Regierungschefs ahnen, dass das Abkommen bereits am Samstagabend nach der Unterhaussitzung nur noch Makulatur sein könnte. Aber in dem immer noch laufenden Spiel, wer wem am Ende die Schuld zuschieben kann, macht dieser Deal es den Europäern leichter zu sagen: Wir haben alles gegeben. Was übrigens stimmt. Aber vielleicht wird dieser Vertrag, der in der Nacht zum Donnerstag entstand, ja auch nur ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einem zweiten Referendum, an dessen Ende eine Mehrheit die britische Regierung zwingt, den Brexit abzublasen. Dann hätte er wenigstens diesen Sinn erfüllt. Ein gar nicht so unwahrscheinliches Szenario.

Dennoch zeigt das erbitterte und schier endlose Ringen, dass nunmehr das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Mehr Miteinander zur Regelung der offenen Brexit-Fragen geht nicht – weder von Seiten Brüssels und schon gar nicht von der Londons. Denn vermutlich werden beide Partner erst bei der genauen Lektüre feststellen, wie viel sie vom jeweils anderen verlangen. Die britischen Behörden müssen europäisches Steuerrecht neben den nationalen Abgabenordnungen anwenden – und sie bleiben genau genommen an die Sozial- und Umweltstandards der Union gebunden. Eigentlich wollte man genau das vermeiden. Die Europäer wiederum geben jede Verantwortung für die Kontrollen an einer nur gedachten Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland ab – und vertrauen im Übrigen dem nordirischen Regionalparlament, das seit Jahren nicht mehr getagt hat.

Der Deal beschreibt eine politische Realität, die nicht oder allenfalls rudimentär existiert und wird auch deshalb zu mehr Ärger und Reibereien führen als zu geregeltem Miteinander. Das ist die bittere Analyse an einem Tag, von dem man eine Lösung erhofft hatte.

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