Werden die Programmkinos zum neuen Ü50-Treffpunkt?

Saarbrücken · Welche Filme des deutschsprachigen Nachwuchses kommen in die Kinos? Welche Konzepte und Fördermöglichkeiten für die Kinoauswertung von deutschsprachigen Nachwuchsfilmen gibt es? Eindrücke von einer Ophüls-Diskussion.

Wird das Programmkino langsam zum neuen Ü-50-Treffpunkt? Jedenfalls gilt es heute nicht mehr unbedingt als sozialer Ort für die Facebook-Generation. "Junge Leute sind heute nicht mehr Cinéasten, wie wir das früher waren", brachte Nina Selig, die in Bochum das kleine Einsaal-Kino "Endstation Kino" betreibt, es gestern bei einer Diskussion über die Kino-Auswertung von Nachwuchsfilmen auf den Punkt. Weshalb es immer wichtiger werde, dass Kinos für Jüngere zusätzliche "Eventfaktoren" böten - etwa einen anwesenden Regisseur.

Die Krise der Abspielstätten ist das eine Problem - das andere ist die Produktions- gegenüber Verwertungsförderung favorisierende Förderpraxis in den deutschsprachigen Ländern. Jela Skerlak vom schweizerischen Bundesamt für Kultur (BAK) führte aus, dass in der Schweiz pro Jahr rund 500 Filme in die Kinos kämen, 60 bis 70 davon als schweizerische Produktionen. Das eidgenössische Fördersystem basiert im Wesentlichen auf einem Punktesystem. Ein Beispiel: Läuft ein Schweizer Film auf einem C-Festival wie in Saarbrücken, gibt es dafür 5000 Punkte. Weitere Punkte, deren Höhe sich nach den Besucherzahlen richtet, sammelt man, wenn er es auch ins Kino bringt - was laut Skerlak in über 25 Prozent aller Fälle nicht klappt, in denen die Filme (meist Dokus und Debüts) nur auf Festivals laufen. Simon Jaquemets "Chrieg", der 2015 den Ophüls-Preis gewann, zog im Kino landesweit 8000 Leute. Am Ende bekam Jaquemet, umgelegt nach dem Berner Punktsystem, 30 000 Franken an Förderung, der Produzent immerhin das Dreifache. Skerlaks Rechenexempel machte klar, dass das Schweizer Fördermodell erfolgsabhängig ist und kinozentriert: Für Filme, die es nicht ins Kino schaffen, bleiben nur wenige Fördertöpfe.

Ganz ähnlich, wenn auch ohne Punktesytem, funktioniert Filmförderung in Österreich, pflichtete Dominik Tschütscher bei - mit fast deckungsgleichen Zahlen wie in der Schweiz: Von den etwa 500 Filmen pro Jahr sind 40-50 inländische mit einem Marktanteil von fünf Prozent. Tschütscher hat vor sechs Jahren in Wien die Initiative "Next Cinema" gegründet - mit dem Ziel einer nachhaltigen und systematischen Nachwuchsförderung. "Next Cinema" versucht, Jungfilmern den Weg ins Kino zu ebnen. Da die Filmlänge in Austria eine Förderbedingung ist (mindestens 45 Minuten), kooperiert "Next Cinema" etwa mit Kinos, um Kurzfilme zu platzieren.

Ob Kurz- oder Langfilme: Eine Kinoverwertung sei nicht alles, erinnerte Tschütscher. Zumal die meisten Nachwuchsfilme weniger als 5000 Besucher zögen. Weshalb das im Dachatelier der Saarbrücker HBK versammelte Fachpublikum die Frage aufwarf, ob man nicht alternative Verwertungsformen finden müsse. Tschütscher hielt davon naturgemäß wenig, dito Selig. Wer sollte sich auch selbst das Wasser abgraben? Auch zwei anderen Aspekten ging das Forum nur ansatzweise nach: Seligs Befund, dass die junge Generation kaum eigene Regie-Sprachrohre habe, wurde in seinen Konsequenzen nicht weitergedacht. Trennt doch das umworbene junge Publikum und die Nachwuchsregisseure oft selbst eine halbe Generation. Unter ging auch die Frage, inwieweit Festivals als Medium taugen, um Jüngere wieder ans Kino zu binden. Die vielen jungen Gesichter beim Ophüls-Festival wirken da ermutigend. Aber sind sie auch Arthouse-Gänger? Nina Selig, die Praktikerin auf dem Podium, gab zu bedenken, dass viele Kinobetreiber ergraut und ohne Facebook-Account seien. Nostalgie ist also kein gutes Überlebensmittel.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort