Virtual Reality im Keller der Saarbrücker Kunsthochschule

Saarbrücken · Computergenerierte künstliche Lebensräume, Virtual Reality (VR) genannt, gelten als „next big thing“ – als Megamarkt in naher Zukunft. Auch im Film. Die kleine „MOP-Visionen“-Reihe des Ophüls-Festivals gibt eine Ahnung davon.

Donnerstagmittag in der im Keller versteckten VR-Lounge der Saarbrücker Kunsthochschule (HBK): ein nackter Raum, zwei Rechner, ein paar VR-Brillen, Kopfhörer und irgendwo Jan Tretschok, der einem den Blick in die Zukunft erklärt. Tretschok leitet das HBK-Videostudio.

"Immersion" ist das Codewort, das zusammenfasst, was uns erwartet: Gemeint damit ist das Eintauchen in virtuelle Welten. Nicht so vorsintflutlich wie im 3-D-Kino, wo wir Zuschauer bleiben. Eher wie im zur zweiten Haut werdenden Ballerspiel. In Ego shooter-Kreativwerkstätten sind denn auch die technischen Vorreiter der VR zu finden. In eine Virtual Reality "eintauchen" meint also, selbst Teil der Handlung zu werden. Als atme man mit und neben den Schauspielern. Noch brauche man 3-D-Scanner, um Darsteller dreidimensional erscheinen zu lassen, so Tretschok. Was das für die Zukunft des Filmes bedeutet, wenn er die Leinwand in den Raum durchstößt, lässt sich derzeit kaum überreißen. Vielleicht wird man Film ganz neu definieren müssen. Vielleicht werde er sich im Zeichen von VR auch erneuern, so wie die Malerei nach dem Aufkommen der Fotografie, meint Tretschok.

In der VR-Lounge der HBK kann man sich zwei 360-Grad-Filme ansehen, die gewissermaßen das Bindeglied zwischen dem klassischen 2-D-Kino und den VR-Imaginationswelten sind. Ein 360-Grad-Kurzfilm wie Richard Böhringers "Flucht" lässt, wenn man die wie ein Rennfahrerding aussehende Brille mit dem eingeklickten Samsung-Handy auf- und sich Kopfhörer übergezogen hat, mit einer Familie im Luftschutzkeller sitzen. Dreht man sich nach links, sieht man die Kinder, schaut man hoch, rieselt Putz von der Decke. Man ahnt nach dieser Sechsminuten-Fingerübung das Potenzial. Und die Gefahren. Den eigenen Orientierungsverlust. Jan Tretschok nennt den Fachbegriff: "Motion sickness". Ein schwindelähnliches Gefühl, das entsteht, weil die Kamera sich per Kopfdrehen bewegt, nicht aber man selbst.

Die VR-Technologie könnte den Film komplett umkrempeln. Sollten wir eines Tages wie Schatten neben den Darstellern herlaufen, alles nur noch in Egoshooter-Fischauge-Optik sehend, würde sich der Film eher dem Theater annähern. Denn in der VR wird es keine Schnitte mehr geben und die Filmdramaturgie insoweit völlig anders sein. Möglich, dass diese Filme auch nur für reine Parallelwelt-VR-Cracks gemacht sein werden, die ohne virtuelle Brille jeden Durchblick verlieren.

Diskussion zur "Zukunft des deutschen Filmmarktes in Zeiten von VOD und VR" heute, 15.30 Uhr, Domicil Leidinger.

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