Verstrickt in Sehspiele

Luxemburg · Vier zeitgenössische künstlerische Positionen zeigt Luxemburgs Mudam derzeit. Ein Besuch verdeutlicht, dass der Pei-Bau als Ausstellungsparcours nur beschränkt nutzbar ist. Und dass Videokunst, Kernstück zweier Sonderschauen, es beim Publikum schwer hat. Man lässt ihm keine Chance zu wirken. Dabei würde die Werkschau Fiona Tans genaues Hinsehen lohnen.

Markante Neubauten säumen die kilometerlange, schnurgerade John F. Kennedy Avenue auf dem Kirchberg-Plateau, kaum einer älter als 20 Jahre. Luxemburgs Handelszentrum protzt geradezu mit Urbanität und geizt nicht mit imposanter Architektur: Geld ist hier im Überfluss vorhanden. Wohl deshalb wirkt diese überwiegend bankengetriebene Stahl-, Glas- und Betonvisitenkarte des Großherzogtums so entsetzlich steril. Selbst die Natur scheint dienstbar gemacht. Die aufgereihten Bäume muten wie Wachmannschaften an.


Die Kennedy-Avenue mündet in das Quartier Européens mit dem EU-Währungs- und dem Rechnungshof. Ganz in der Nähe soll sich auch die Kunst rechnen. Um ins Mudam, Luxemburgs wichtigstes, vor bald zehn Jahren (Juli 2006) eröffnetes Museum, zu gelangen, läuft man zwischen dem neuen Kongresszentrum und dem architektonisch gelungensten Bau des gesamten Kirchbergs, Christian de Portzamparcs Philharmonie, in Richtung Westen weiter. Das ihr zu Füßen liegende, von Ieoh Ming Pei entworfene Musée d'Art Moderne Grand-Duc-Jean (kurz: Mudam) kann der Philharmonie als Baukörper ästhetisch nicht das Wasser reichen.
Narzisstischer Bau

Gleich vier zeitgenössische künstlerische Positionen (Sarah Oppenheimer, Fiona Tan, Damien Deroubaix, Beatrice Gibson und dazu noch eine Art Design-Supermarkt zweckfreier Objektkunst) zeigt das Mudam gerade. Wer sie besucht, macht einmal mehr die Erfahrung, dass Peis Bau, anders als von dem 98-jährigen Pritzker-Preisträger behauptet, nicht der Kunst dient, sondern das Musterbeispiel eines narzisstischen Museumsbaus ist. Ein Denkmal in eigener Sache, das kuratorische Erwägungen weitgehend ignoriert und nur schwer zu bespielen ist. Das Raumgefüge und der Ausstellungsparcours sind von abenteuerlicher Unübersichtlichkeit. Um etwa zu Beatrice Gibsons, von William Gaddis Roman "JR" inspirierter Videoarbeit "Solo for Rich Man" (2014) im Obergeschoss vorzustoßen, muss man erst durch die Caféteria und dann die Treppen hoch, um anschließend in die Grand Hall zurück zu müssen. Der Vorführraum, in dem Gibsons 13-minütige, kryptische Klang- und Bildcollage läuft, erweist sich als Sackgasse. Die nebenliegenden Räume sind alle verschlossen. Unten, in der 33 Meter hohen, lichtdurchfluteten Grand Hall, sind zwei transparente, mobile Raumkörper Sarah Oppenheimers platziert, die als gezielte strukturelle Intervention in die Pei-Architektur gedacht sind und in den elaborierten Handreichungen des Mudams als komplexes "Spiel zwischen Kontinuität und Fragment" erläutert werden. Erschließen lässt sich die Auftragsarbeit nicht. Umso leichter dafür eine Nutzlosigkeitshuldigung namens "Quiz 2" der Kuratoren Robert Stadler und Alexis Vaillant. Sie zeigen knapp 60 Objekte an der Schnittstelle von Kunst und Design: eine Verschnaufpause mit krückstockartigen Joysticks, Spiegeln mit Kinnauflage, Silikonschläuchen und Multifunktionssitzen.

Seltenheitswert in einem Museum dürfte haben, dass die Gastronomie in Kunst hineindiffundiert. Geklapper und Gemurmel überlagert bisweilen die neben dem Café vier Räume füllende Sonderschau mit Grafiken und Groß aquarellen von Damien Deroubaix. Wovon einige bereits im letzten Herbst im Dillinger Alten Schloss zu sehen waren. Am Überzeugendsten fällt der erste Raum aus, der eine Handvoll Großformate zusammenbringt, die Deroubaix' gekonnte, trashhafte Malerei vor Augen führt. Sie speist sich aus Skeletten und Unbehausten, Eingeweiden und Shoa-Anleihen. Deroubaix pflegt einen düsteren, extrem collagierenden, mythologisch aufgeladenen Stil und setzt auf stumpfe Kolorierung. "Picasso et moi", der Ausstellungstitel, verweist auf motivische Picasso-Anleihen, wie sie vor allem Deroubaix' graphisches Werk kennzeichnen, das raffiniert Techniken der Radierung und Aquatinta mischt. 15 korrespondierende Arbeiten Picassos (darunter ein grafischer Zyklus aus den 60ern) verdeutlichen die Traditionslinie, in der der 1972 in Lille geborene Franzose steht. Weil die Betrachtung von Picassos Schlüsselwerk "Guernica" 1991 Debouraix' künstlerisches Initiationserlebnis war, findet sich im Mudam zuletzt eine Art Kopie von Picassos Gemälde: Auf Holzwände hat Debouraix die Motivsilhouette eingeritzt und mit Druckfarbe geschwärzt, um einen Druckstock zu simulieren. Der eigens für die Ausstellung konzipierte Holzstich ist so Remineszenz, Adaption und Transformation zugleich.

Im Untergeschoss wartet dann der Höhepunkt der vier Sonderausstellungen: eine bemerkenswerte Werkschau der indonesischen Konzeptkünstlerin Fiona Tan, die zehn ihrer in den letzten 15 Jahren entstandenen Arbeiten präsentiert - überwiegend Videos, für die man sich Zeit nehmen muss. Doch die Besucher an diesem Morgen geben Tans Videos bestenfalls eine Minute, dann hakt man sie ab. So liegt man die meiste Zeit allein auf grauen Liegekissen in einem mit grauem Filz ausgelegten Raum, in dem Tans 15-minütiger, eindringlicher Schwarzweißfilm "Island" läuft: vom Wind verformte Bäume auf Gotland, flirrende Luft und dazu eine Off-Stimme, die von einer Frau erzählt, der die Stille hier wie ein Gefängnis erscheint. Während ihr mit "Island" ein sehr diskretes Landschaftsporträt gelingt, kreiert Tan in ihrer Videoinstallation "Diptych" mit filmisch denkbar einfachen Mitteln komplexe Personenporträts, die auf dem Weg der Dopplung unsere Identitäts- und Zeitvorstellungen hinterfragen. Auf Gotland hat sie über Jahre hinweg 30 Zwillinge gefilmt. Ihre Porträts (mal stehende, mal laufende Bilder; mal eine Person im Wandel der Zeit zeigend, mal beide in unterschiedlichen Zeiten) spiegeln sich in Form eines Diptychons, sodass immer zwei Aufnahmen parallel laufen. Treffend heißt es in der ausliegenden Broschüre: "Man verstrickt sich in ein Sehspiel, in dem jeder suchen, vergleichen, beobachten kann, wie die Zeit den Einzelnen und sein familiäres Umfeld verändert."
Unwegsames Gelände

 Ein Videostill aus Fiona Tans Kurzfilm ,,Nellie" von 2013, in dessen Zentrum Rembrandts uneheliche Tochter Cornelia van Rijn steht, die 1669 nach Indonesien (Tans Heimat) übersiedelte. Foto: Fiona Tan

Ein Videostill aus Fiona Tans Kurzfilm ,,Nellie" von 2013, in dessen Zentrum Rembrandts uneheliche Tochter Cornelia van Rijn steht, die 1669 nach Indonesien (Tans Heimat) übersiedelte. Foto: Fiona Tan

Foto: Fiona Tan

Auch in ihrer sechsteiligen Videoprojektion "Provenance" (jede in S/W und drei bis fünf Minuten lang) geht das Konzept Tans auf. Wir sehen sechs filmische Etüden: Wohnungen bzw. Geschäfte, Stillleben, Interieurs sowie in Nahaufnahmen die Bewohner und Ladeninhaber. Die orchestrierte Gleichzeitigkeit zwingt uns umso mehr zur Konzentration, erzwingt einen narrativeren Bildfluss, ein Nacheinander. Kontextualitätsfragen leiten auch Tans schwächsten Werkkomplex "Vox Populi" - Fotoinstallationen aus hunderten von Amateurfotos, die sie jeweils in Tokyo, Sydney und London von Bewohnern gesammelt und thematisch gruppiert hat (Schlafende, Posierende, Badende, Feiernde). Die Austauschbarkeit von Fotos (und Identität) führt uns Tans städtisches Fotoalbum ebenso vor Augen wie den Kollektivwunsch des Errettens von Erinnerungen. Mit "The Geography of time", Titel der Tan-Schau, begibt man sich topographisch in unwegsames Gelände voller Bruchspalten. Sehenswerte.

Bis 22. Mai: Quiz 2; Bis 29. Mai: Sarah Oppenheimer/Damien Deroubaix/Beatrice Gibson; Bis 28. August: Fiona Tan.

Mi-Fr: 11-20; Sa-Mo: 11-18 Uhr.

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