Odyssee und Wasserspülung

Saarbrücken · Für seine über 2000 Seiten lange „Orbitor“-Trilogie, an der er 14 Jahre lang geschrieben hatte, erhielt Mircea Cãrtãrescu, gerühmt als „Proust des Plattenbaus“, unter anderem den Leipziger Buchpreis. Nun ist sein Band „Die schönen Fremden“ mit drei Erzählungen erschienen. Cãrtãrescu stellt ihn am Samstag in Saarbrücken vor.

 Der rumänische Autor Mircea Cãrtãrescu. Foto: Gindl /dpa

Der rumänische Autor Mircea Cãrtãrescu. Foto: Gindl /dpa

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Scheinbar harmlos wirken die drei Erzählungen "Anthrax", "Die schönen Fremden (oder Wie ich ein Dutzendautor war)" und "Wie von Bacovia" im Vergleich mit dem überbordenden Komplexitätsanspruch seiner sprachkünstlerisch ausgefeilten "Orbitor" Trilogie. Formal erinnern sie an das Bild des Schmetterlings, dem Symbol der Verwandlung in der Trilogie. Die mittlere und längste Erzählung ist wie der schwere Leib, der von den beiden leichten Flügeln getragen wird. Alle drei sind satirisch, autobiografisch und erzählen, mehr oder weniger stark überzeichnet, von den Unbilden, denen sich der Autor ausgesetzt sah. Uneingeschränkt lachen kann man darüber, wie es Cãrtãrescu mit der rumänischen Bürokratie ergangen ist, als er einen Brief erhalten hatte, in dem man irrtümlich Anthrax vermutete. Oder in der dritten Erzählung, als er von seiner apokalyptischen Odyssee erzählt, die er während des Besuchs bei rumänischen Kollegen erlebte.

Die Haupterzählung, die längste und titelgebende, unterscheidet sich drastisch von den anderen. Sie handelt von den Erlebnissen Cãrtãrescus bei seiner Lesereise mit elf weiteren rumänischen SchriftstellerInnen durch Frankreich. Da begegneten ihnen "die gewohnten Fragen: Haben Sie in Rumänien Bibliotheken? Gibt es Verlage in Rumänien? Benutzt ihr die Wasserspülung auf dem Klo?" Die Realität aber durchstößt die Grenze der Satire, das Lachen endet abrupt, wenn er das Misstrauen beschreibt, dem er in einer Geld-Wechselstube ausgesetzt war. Da fühlte er sich wie ein "elender und von allen missachteter Kanake", und wie er "seelisch erledigt und bis ins Mark von einem Hass durchdrungen war auf jene Welt, die einen nach seinem Aussehen und der Nationalität behandelte. Ich verstand die Jugendlichen aus dem Maghreb, die in den Vorstädten Autos anzündeten, die Kommunisten, die Islamisten, alle diejenigen, die sich erdrückt fühlten von der massiven Verachtung der Westler gegenüber all jenen, die ihnen nicht glichen."

Es ist ungewohnt drastisch, wie die Erzählungen Ernstes und Heiteres montieren; die Selbstoffenbarungen Cãrtãrescus, mit der er immer wieder sich und den Literaturbetrieb reflektiert ("die Kunst ist ein Krieg, in dem du alleine gegen alle anderen stehst") sind schonunglos und zwingen die Lesenden zum irritierten Nach-Denken.

Mircea Cãrtãrescu: Die schönen Fremden. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Paul Zsolnay Verlag, 304 Seiten, 21,90 Euro. Lesung mit Cãrtãrescu und Wichner: Samstag, 20 Uhr, Saarländisches Künstlerhaus (Sb).

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