Sachbuch über Steuerungerechtigkeit „Der Triumph der Ungerechtigkeit“

Saarbrücken · Vom globaler Steuerungerechtigkeit und ausgeklügelter Steuervermeidung erzählt ein neues Sachbuch, das auch für Wirtschaftslaien nachvollziehbar ist.

 Jeff Bezos, der Gründer von Amazon. Im dritten Jahr in Folge führt er die „Forbes“-Liste der reichsten Menschen der Welt an.

Jeff Bezos, der Gründer von Amazon. Im dritten Jahr in Folge führt er die „Forbes“-Liste der reichsten Menschen der Welt an.

Foto: dpa/Patrick Semansky

Die Europäische Zentralbank teilte jüngst mit, als Reaktion auf die Corona-Pandemie ein Krisenprogramm in einer Höhe von 750 Milliarden Euro aufzulegen.  Wo kommt dieses Geld her?  Wer finanziert das eigentlich alles?  In dem aufschlussreichen Buch der Wirtschaftswissenschaftler Emmanuel Saez und Gabriel Zucman,  „Der Triumph der Ungerechtigkeit. Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert“,  erfährt man etwa, dass alleine eine radikale Vermögenssteuer in den USA, mit der lediglich die 400 reichsten Amerikaner zur Kasse gebeten würden, dem US-Staat 250 Milliarden Dollar pro Jahr einbrächte.   Auf erhellende und selbst für Wirtschaftslaien nachvollziehbare Weise zeigen Saez und Zucman auf 250 Seiten,  inwieweit eine Reform der  internationalen Steuerpolitik zum einen die Ungleichheit zwischen Arm und Reich verringern und zum anderen vielen  Staaten sehr viel mehr finanzielle Spielräume verschaffen würde.

Im Zentrum ihrer Untersuchungen stehen zwar die USA, doch lassen sich die allermeisten Erkenntnisse der Autoren unschwer auch auf die europäischen Staaten anwenden.  Doch nicht nur auf diese. Ist Steuerungerechtigkeit doch ein globales Phänomen.  Insbesondere die Abschaffung  der Vermögens- sowie die Verringerung der Körperschaftssteuer, gepaart  mit einer ausgeklügelten Steuervermeidungsindustrie zur Umgehung der Unternehmenssteuer, haben zu staatlichen Mindereinahmen in unfassbarer Höhe geführt.  Weil dies international unisono auf weiter Flur geschieht, plädieren die  als Co-Autoren von Thomas Pikettys wegweisender Analyse „Das Kapital im 21. Jahrhundert“  hierzulande bekannt gewordenen Ökonomen für eine globale Steuerpolitik. Ist das Steuersystem doch, wie sie schreiben, „die wichtigste Institution jeder demokratischen Gesellschaft“.

Saez/Zucman haben insbesondere alle verfügbaren US-Steuerdaten (von Einkommenssteuererklärungen über Steuerprüfungsergebnissen bis hin zu makroökonomischen Bilanzen) über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren ausgewertet. Mit dem Ziel, langfristige Veränderungen in der Besteuerung sowie deren gesellschaftliche Folgen zu erfassen. Die Ergebnisse sind alarmierend. Während  die reichsten Amerikaner 1970 noch doppelt so viele Steuern entrichteten wie die Arbeiterschicht, zahlen US-Milliardäre seit Donald Trumps Steuerreform von 2018 erstmals in der amerikanischen Geschichte weniger als das einfache Volk.  „Es ist, als ob ein ganzes Jahrhundert Geschichte der Steuerpolitik ausradiert worden wäre.“

Damit nicht genug, haben die 2300 reichsten US-Amerikaner ihr Einkommen zwischen 1980 und 2018 um über 600 Prozent erhöhen können, während das der unteren 50 Prozent im gleichen Zeitraum im Jahresschnitt nur um 0,1 Prozent stieg – ein exorbitantes Missverhältnis. Demnach hat heute die Hälfte der erwachsenen US-Bevölkerung ein Jahreseinkommen von 18 500 Dollar.

Seit 1980 wurden in den westlichen Industrieländern die Körperschaftssteuern immer weiter gesenkt, in den USA unter Trump zuletzt von 35 auf 21 Prozent. Vergleichbares geschah in Frankreich oder Großbritannien.  Zugleich haben Konzerne ihre Gewinne in Steuerparadiese wie die Kaiman-Inseln, Panama, die Bermuda-Inseln (heute Sitz von Googles  geistigem Eigentum) oder auch Irland  (Apple, Skype), Singapur, Malta und  Luxemburg verschoben, wo sie entweder gar keine Steuern oder erheblich weniger als üblich zahlen.  40 Prozent aller multinationalen Gewinne weltweit werden einer Studie des amerikanischen National Bureau of Economic Research zufolge heute in Steueroasen verbucht.  In den seltensten Fällen verlagerten Unternehmen ihre Produktion dorthin, sondern fast immer nur den „Gewinn auf dem Papier“, schreiben die Autoren.

Ähnliches gilt für die Einkommenssteuer. Betrug der Spitzensteuersatz in den USA 1913 noch sieben Prozent, so wurde er im Zuge von Roosevelts „New Deal“ in den 30ern auf 90 Prozent (!) angehoben. Ehe Ronald Reagan dem 1986 mit seinem Reiche begünstigenden Tax Reform Act  ein Ende machte, blieb dieses progressive, ungleich gerechtere  Steuersystem über ein halbes Jahrhundert  bestehen, ohne dass in den USA eine nennenswerte Kapitalflucht erfolgt wäre. Die setzte erst in den 90ern ein. Seither blüht die Steuerumgehungs-Industrie: Briefkastenfirmen und Offshore-Gesellschaften schossen aus dem Boden: Beginn eines bis heute anhaltenden „Gewinnverschiebungsirrsinns“.

Weil die Big Four der global aktiven Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften (Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers) das Prinzip Steuervermeidung  längst perfektioniert haben und sehr viel lukrativere Gehälter zahlen als der öffentliche Dienst, wirkt die  Steuervermeidungs-Industrie  heute unangreifbar.  Globalisierung und Fairness sind für Saez/Zucman jedoch entgegen der heute weit verbreiteten Ansicht alles andere als unvereinbar.  Sie fordern, Unternehmensgewinne konsequent zu besteuern und vermittels einer internationalen Staaten-Kooperation die Steuersätze  zu vereinheitlichen und moderat anzuheben.  Konkret plädieren sie dafür, dass die G-20-Staaten einen Mindeststeuersatz von 25 Prozent für multinationale Unternehmen einführen.  Ihrer Ansicht nach würden sich damit „über 90 Prozent aller weltweit erzielten Profite sofort effektiv“  besteuern. Die stets beschworene Gefahr von Verlagerung von Firmensitzen in Steueroasen ist für sie eine reine Phantomdebatte. Von den 2000 größten Unternehmen weltweit  hätten gerade mal gut 30 ihren Hauptsitz in Steuerparadiesen, schreiben die Autoren.

Stattdessen unterbieten sich die Staaten weiter in Steuernachlässen.  Saez/Zucman folgern, dass damit staatliche Souveränität auf dem Altar der Finanzmärkte geopfert werde.  Wie die Finanzhistorie lehrt, offenbart sich immer wieder ein Muster: „Als Erstes nimmt die Steuerumgehung massiv zu. Dann folgt die Klage von Regierungen, die Reichen zu besteuern, sei unmöglich geworden. Anschließend werden deren Steuersätze gekürzt.“  Ihre (nicht ganz neue, weil seit  Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“ virulente) Grundthese lautet, dass die  Ungleichheit weltweit  zunehme,  weil Kapital inzwischen fatalerweise immer weniger und Arbeit immer mehr besteuert werde. Zumindest in den USA sei es ein reiner Mythos, dass das  Einkommen der Reichen nach unten durchsickere.  Ganz im Gegenteil sei „die Arbeiterschicht vom Wirtschaftswachstum abgeschnitten worden“.

Mit Blick auf Europa könnte gemäß der Studie von Saez und Zucman eine Harmonisierung der Steuerpolitik dem auch dort grassierenden Triumph der Ungerechtigkeit wirkungsvoll den Garaus machen –  würde in der EU in Steuerfragen nicht das Prinzip der Einstimmigkeit gelten, dass einem Steuerparadies wie Luxemburg  eine diesen Königsweg torpedierende Blockadepolitik ermöglicht.

 Emmanuel Saez/Gabriel Zucman: Der Triumph der Ungerechtigkeit.

Emmanuel Saez/Gabriel Zucman: Der Triumph der Ungerechtigkeit.

Foto: Suhrkamp

Emmanuel Saez/Gabriel Zucman: Der Triumph der Ungerechtigkeit. Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Frank Lachmann.  Suhrkamp, 278 S., 22 Euro.

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