Literatur Dünne Suppe: Alissa Walsers Erzählungen

Saarbrücken · (cis) Hieße die Autorin dieser Prosa-Miniaturen nicht Alissa Walser, sie wären womöglich nicht erschienen. Was, man muss es offen sagen, nicht für ihre Qualität (und das Verlagslektorat) spricht. Walser, lange in Rezensionen notorisch als „Tochter Martin Walsers“ eingeführt, hat diesen Vater-Schatten bald abgeschüttelt und mehrere vorzügliche Bücher veröffentlicht – etwa „Die kleinere Hälfte der Welt“ (2000), Erzählungen voll hintergründigen Minimalismus’. Oder den Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“ (2006), der um Franz Anton Mesmer (1734-1815) kreiste, Erfinder des Hypnose mit Magnetismus paarenden „Mesmerismus“.

Umso rätselhafter ist der literarische Absturz Alissa Walsers in ihrem jüngsten Band „Eindeutiger Versuch einer Verführung“. Darin treibt sie ihre Sparsamkeit auf die Spitze: Kaum eine der Miniaturen ist länger als ein paar Seiten. Doch wo Walser früher in eiskalter Schärfe ihre Szenerien gekonnt durchdeklinierte, offenbart sie nun in vielen Texten eine befremdliche, glattpolierte Oberflächlichkeit. Etwa wenn sie in „Nachtigall“ eine das Stadt- gegen das Landleben Eintauschende sagen lässt: „Wenn die Nachtigall loslegt, gehen mir die Ohren auf.“ Lauter entsetzlich wohlständige, kultivierte Leute, die beziehungsgestört und/oder konsumergeben sind, bevölkern dieses Buch. Walser belässt es meist bei bloßen Beschreibungen nichtssagender Alltagsszenen. Am Quälendsten sind die des gelangweilten Lebens bourgeoiser Ehefrauen. Wollte Alissa Walser literarisch austarieren, inwieweit man diesen Menschenschlag mit dessen eigenen Mitteln – Geschwätzigkeit, Klischeesucht und Flachheit – zur Strecke bringen kann?

Das Konzept geht nicht auf. So wie ihre Figuren ahnen, „dass nicht alles, was man als Zusammenhang empfindet, auch wirklich zusammenhängt“, rieseln die sparsamen Einfälle der meisten dieser 60 Prosaskizzen durch das allzu grobmaschige Netz, das Walser diesmal geknüpft hat. Entsprechend dünn ist die Suppe, die sie angerichtet hat.

Alissa Walser: Eindeutiger Versuch einer Verführung. Hanser, 160 S., 17 €.

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