„Die Lage macht uns allen Angst“

Das Kino Achteinhalb zeigt zurzeit eine Reihe über den prägenden polnischen Regisseur Andrzej Wajda. In den Klassikern „Der Mann aus Marmor“ (1976) und „Mann aus Eisen“ (1981) schildert er die politische Entwicklung seiner Heimat und den Widersand gegen die kommunistischen Machthaber. Beide Hauptrollen spielt Jerzy Radziwi{lstrok}owicz, der auch mit Jean-Luc Godard („Passion“) und Jacques Rivette („Geheimsache“) gearbeitet hat. Der 66-Jährige diskutiert „Mann aus Eisen“ am Sonntag im Kino Achteinhalb. SZ-Redakteur Tobias Kessler hat mit ihm gesprochen, über die damalige und die aktuelle, schwierige Lage in Polen.

"Mann aus Marmor" und "Mann und Eisen" sind zwei Schlüsselfilme des polnischen Kinos und blicken kritisch auf die Geschichte des Landes. In welchem politischen Klima sind sie entstanden?

Radziwi{lstrok}owicz: Es sind unterschiedliche Filme in politisch unterschiedlichen Zeiten. "Mann aus Marmor" entstand 1976 - 13 Jahre, nachdem das Drehbuch fertig war. So lange hat Regisseur Andrzej Wajda um eine Drehgenehmigung ringen müssen. Damals hat niemand vermutet, dass sich die Regierung von Edward Gierek, der 1970 bis 1980 Vorsitzender der Polnischen Arbeiterpartei war, schon damals dem Ende zuneigte. In dem Jahr, als wir den Film gedreht haben, gab es Arbeiterproteste, aus denen freie Gewerkschaften hervorgingen und später dann Solidarnosc. Wir spürten alle, dass etwas in der Luft lag.

Und beim "Mann aus Eisen"?

Radziwi{lstrok}owicz: Den drehten wir 1981, nach dem politischen Umschwung 1980. Wir hatten große Hoffnungen und glaubten, alles sei möglich. Beide Filme haben wir mit dem Gefühl gedreht, etwas sehr Wichtiges zu tun.

Wie würden Sie das politische im heutigen Polen beschreiben?

Radziwi{lstrok}owicz: Man hat immer weniger Raum, immer weniger Luft zum Atmen. Die Partei versucht, die staatliche Kontrolle über alle Institutionen zu übernehmen, den Staat zu ideologisieren - das schürt natürlich Ängste, dass wir uns bald in einem Land befinden, in dem Freiheit und Bürgerrechte nur noch leere Worthülsen sind.

Wie ist das kulturelle Klima?

Radziwi{lstrok}owicz: Kultur ist ein Terrain, auf dem sich verschiedene Sichtweisen begegnen, wo man die Realität auf unterschiedliche Art interpretiert. Deshalb beunruhigt es mich, wie die Machthaber Kulturpolitik definieren: Sie wollen eine eindimensionale, propagandistische Kultur, die der patriotischen Erziehung dient.

Kulturminister Piotr Glinski hat sich im Winter 2015 der Premiere einer Inszenierung von Elfriede Jelineks "Der Tod und das Mädchen" widersetzt, angeblich wegen zu viel Sex auf der Bühne.

Radziwi{lstrok}owicz: Leider hat Glinksi da etwas versucht, was wir gar nicht mehr für möglich gehalten hatten - eine Theaterpremiere zu verbieten. Das haben wir früher "Präventionszensur" genannt. Gottseidank ist es nicht dazu gekommen, aber es zeigt die Art, wie die Entscheidungsträger über Kultur nachdenken. Die Lage macht uns allen Angst. Wir fürchten, dass sie verhindern wollen, was nicht der Parteilinie entspricht oder einen Minister vor den Kopf stoßen könnte. Die Regierung hätte gerne, dass man alles ausklammert, was in unserer Gegenwart schwierig ist. Man soll auf Denken und Reflektion verzichten.

Sie sind Ensemblemitglied am Nationaltheater in Warschau - gab es da Versuche der politischen Einflussnahme?

Radziwi{lstrok}owicz:

Nein, bisher nicht.

Wird die Finanzierung für politische Filme schwieriger?

Radziwi{lstrok}owicz: Ich würde das nicht auf politische Filme verengen. Jeder Film, der wichtige Fragen der Gesellschaft stellt, ist auf seine Art ein politischer Film, auch wenn man ihm das nicht sofort ansieht. Wie sich die Situation entwickelt, zeigt sich erst bei den nächsten Entscheidungen des Polnischen Filminstituts, denn das entscheidet über Förderungen.

Sie haben viel in Frankreich gearbeitet - wie kam es dazu?

Radziwi{lstrok}owicz: Ich habe 1979 einen Darstellerpreis für "Mann aus Marmor" in Brüssel gewonnen, dann eine Rolle in einem belgischen Film gespielt. Ab da hat es sich einfach entwickelt.

Wie war die Arbeit mit Jean-Luc Godard, Jacques Rivette und mit Michel Piccoli als Regisseur?

Radziwi{lstrok}owicz: Jeder Regisseur ist anders. Piccoli hatte ich schon lange als großen Schauspieler bewundert - die Arbeit mit ihm war dann ein besonderes Vergnügen. Godard war allerdings sehr schwierig - der Schwierigste von allen.

Worin liegen die Unterschiede zwischen Filmproduktionen in Polen und Frankreich?

Radziwi{lstrok}owicz: Nun, der große Unterschied ist für mich, dass man in Frankreich französisch spricht - das ist für mich eine Herausforderung. Früher, als die Filmproduktion in Polen staatlich geregelt war, waren die Unterschiede sehr groß. Heute ist sich die Welt des Films, zumindest in Europa, sehr ähnlich, was die Produktion betrifft. Wenn es Unterschiede gibt, dann liegt das an der Arbeitsweise des Regisseurs.

Polnische Filme wie der Oscar-Gewinner "Ida", der ein düsteres Bild der polnischen Nachkriegszeit zeichnet, werden in Deutschland hoch gelobt, finden aber nur ein kleines Publikum. Wie ist das mit deutschen Filmen in Polen?

Radziwi{lstrok}owicz: In Polen laufen sehr wenige deutsche Filme, ich habe lange keinen mehr gesehen. Aber was "Ida" angeht: Dieser Film hat einen Auslands-Oscar gewonnen, was ja nicht gerade oft vorkommt. Und wie hat die regierende Polit-Elite Polens das kommentiert? Sie sagte, "Ida" sei das vollkommene Beispiel für jene Filme, die in Polen auf keinen Fall gedreht werden sollten.

Sonntag 19 Uhr: "Mann aus Eisen" und Diskussion mit

Jerzy Radziwi{lstrok}owicz.

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