Die beglückend farbstichige Grauzonigkeit

Hemmersdorf · In loser Folgen wollen wir in den kommenden Monaten ausgewählte bildende Künstler der Region in ihren Ateliers besuchen. Auf Dietmar Binger folgt nun Ursel Kessler. Als Autodidaktin fing sie in den 80er Jahren an, inzwischen ist sie eine der herausragenden Malerinnen hierzulande.

 Ursel Kessler in ihrem Atelier im Souterrain ihres Hauses in Hemmersdorf. Fotos: Schreiner

Ursel Kessler in ihrem Atelier im Souterrain ihres Hauses in Hemmersdorf. Fotos: Schreiner

Ein Haus ganz am Ende der Straße, die sich danach als Feldweg weiter hoch schlängelt. Weite. Felder. Ruhe. Blick auf ausgedehnte Hügelketten: Saargau. Wie eingemuldet liegt darunter, hier oben gut auszumachen, das Tal der Nied und der 2000-Seelenort Hemmersdorf. Am äußersten, erhabenen Ortsrand wohnt und arbeitet Ursel Kessler (72), eine der interessantesten Künstlerinnen der Großregion. Seit 1974 lebt sie hier, ist einem aber erst seit einigen Jahren als Malerin ein Begriff. Weshalb wurde sie so spät bekannt? Trinken wir erst mal einen Kaffee.

Kesslers Mann bringt ihn hinunter in ihr Atelier, einen vielleicht 40 Quadratmeter großen Raum im Souterrain. Lange Fensterfront. Eigentlich einmal als Wohnung für ihre Mutter gedacht. Haufenweise Großformate an die Wände angelehnt, alle umgedreht. Ein paar Hocker im Raum, dazu diverse Rolltische. Neben der Tür ein Kaminofen. An der Stirnwand neuere Arbeitsproben. Ein Raum, der nicht danach aussieht, als würde hier jeden Tag gemalt. Tut Kessler auch nicht. Manchmal wochenlang nicht. Kein Fall von zwanghaftem Schaffensdrang, wie es ein hartnäckiges Künstlerklischee verheißt. Auch sonst entspricht Ursel Kessler nicht unbedingt den Vorstellungen, die über Künstler(innen) in Umlauf sind. Keine demonstrative Ex travaganz, keine Allüren, aber auch keine Unzugänglichkeit.

Vor fünf Jahren sahen wir Gemälde von ihr - in einer ihrer ersten größeren Einzelausstellungen im Saarländischen Künstlerhaus - , die eine ganz eigene malerische Handschrift trugen. Opake Bilder, die im Gedächtnis blieben. Zu sehen waren Stadien, Einkaufszentren, Fabrikhallen, Lagergebäude, verwaiste Innenräume. Es waren menschenleere, auf eine sehr unterkühlte Weise architektonische Strukturen feiernde Bilder. Die Leinwände mit stumpfen Grauwerten in allen erdenklichen Abstufungen unterwandert und überzogen. Kesslers Verlassenheitsstudien entwickelten nicht nur durch ihre Blicktiefe bemerkenswerte Sogkraft, es ging auch eine atmosphärisch dunkel aufgeladene Sinnlichkeit von ihnen aus.

Sie habe "nie ein Talent in eine Richtung gehabt", sagt sie heute. Am ehesten wollte sie Architektin werden, ließ sich Mitte der 60er Jahre aber durch den Ratschlag eines Bekannten abschrecken, das sei nichts für Frauen. "Ich war damals zu unselbständig." Also studierte sie Mathematik und Physik, lernte dabei ihren Mann kennen und wurde Realschullehrerin. Zeichnete nebenbei "immer ein bisschen". Gewann um 1985 einen Zeichenkurs in der Bosener Mühle und lernte dort den Saarbrücker Künstler Till Neu kennen, der ihr "das Gefühl für Farbe gegeben" habe, wie sie sagt.

Nach und nach erschloss sich Kessler diverse Techniken. Belegte Kurse bei Bettina von Haaren und Volker Lehnert, Thomas Gruber und später dann vor allem bei Francis Berrar, mit dem sie bis heute den Austausch sucht (und auch hin und wieder mit ihm in seinem Überherrner Atelier malt). Als Ursel Kessler dann vor 16 Jahren den Schuldienst quittierte, lagen auch ihre künstlerischen Lehrjahre hinter ihr, die autodidaktischen Anfänge. Von 2007 bis 2015 stand sie dann dem Saarländischen Künstlerbund vor.

Ihre malerische Reife ist bemerkenswert. So entschlossen sie in ihrer Gestaltungsfindung ist (oft malt sie ihre Bilder innerhalb weniger Stunden), so austariert und filigran sind ihre Kompositionen. Könnte sein, dass das Fotografieren Kesslers abstraktionssicheres, intuitives Gespür für Übergänge, Relationen, Kontraste, Gewichtungen mit geschult hat. Seit langem schon fotografiert die 1944 in Bexbach geborene Künstlerin etwa Baustellen und Sperrmüll, angezogen von der "Zufälligkeit der Arrangements". Sie sagt, dass sie einen Malzustand bevorzuge, in dem ein katalogisierendes Denken keine Rolle spiele. "Die Gesetze im Kopf, die auf ein Bild zutreffen müssten." Auf Vorstudien verzichtet Kessler generell, so sehr dies angesichts der ihre Gemälde prägenden Linien, Achsen und Ebenen erstaunt. Eher zerschneidet sie in Zeitschriften oder ihrem eigenen Fotoarchiv gefundene Bildvorlagen und collagiert sie zu reinen Form- und Farb-Ensembles. Wenn sie die Leinwand mit Acrylmasse überzogen und geglättet hat, fange sie zügig an "zu setzen".

 Eine der neueren, ungegenständlichen Arbeiten Kesslers.

Eine der neueren, ungegenständlichen Arbeiten Kesslers.

Seit ein, zwei Jahren hat Ursel Kesslers Malerei sukzessive ihre an Industriebauten geschulte Gegenständlichkeit hinter sich gelassen, zugunsten einer autonomeren Bildarchitektur. Entstanden ist seither eine abstrahierendere Malerei, deren zumeist gebrochene Farb- und Lichtvarianzen einem beständigen Wechselspiel aus Dichte und Durchlässigkeit, aus Flächigkeit und Tiefengrund folgen. So entsteht bei ihr ein inneres Gefüge, das Exaktheit und Losgelöstheit zugleich ausstrahlt. "Ich suche das Lockere. Den Punkt, wo es spritzt und läuft." Ihre so reiche, weniger monochrome denn beglückend farbstichige Grauzonigkeit, die Ursel Kesslers Kunst prägt, hat sie bei alledem nicht eingebüßt. Es verlange ihr viel Kraft ab, sagt sie an diesem Hemmersdorfer Nachmittag, etwa "ein Rot draufzumachen". Reichlich albern wäre es, daraus schlussfolgern zu wollen, Ursel Kessler sei eine schwermütige oder unscheinbare Person. Wo ihre Frische und Zugewandtheit so beeindrucken. Nicht von ungefähr ist Grau, Kesslers Farbe, ja die Heimstätte der Zwischentöne.

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