90. Geburtstag von Verleger Klaus Wagenbach Ein Freibeuter im Namen der Literatur

Frankfurt · Das Leben des Verlegers Klaus Wagenbach vereint RAF-Texte mit Franz Kafka und Toscana-Fraktion. An diesem Samstag feiert er seinen 90. Geburtstag.

 Verleger Klaus Wagenbach wird 90.

Verleger Klaus Wagenbach wird 90.

Foto: dpa/Rainer Jensen

Sein Herz schlägt links. Daran hat Klaus Wagenbach nie einen Zweifel gelassen. Er ließ ein Manifest der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) drucken, publizierte das Fernsehspiel „Bambule“ von Ulrike Meinhof. 1976 hielt er eine Grabrede für die RAF-Terroristin: Sie sei an den „deutschen Verhältnissen“ zugrunde gegangen. Damals galt Wagenbach als das Enfant terrible unter den deutschen Verlegern. Am 11. Juli feiert er nun hoch geachtet seinen 90. Geburtstag: Einen Vertreter eines „linken Bürgertums im Geist des französischen Citoyens“ nannte ihn Literaturkritiker Helmut Böttiger im Deutschlandradio. 2018 wurde sein Verlag mit dem erstmals ausgelobten Berliner Verlagspreis ausgezeichnet, 2020 mit dem Deutschen Verlagspreis. „Klaus Wagenbach ist für mich immer ein Vorbild gewesen: ein Verleger im ursprünglichen Sinn, unbeugsam bei der Qualität seines Verlagsprogramms“, sagt die Münchner Verlegerin Antje Kunstmann, „ein Mensch mit Haltung, Humor, liebenswürdig und immer hilfsbereit, wenn man Fragen hatte.“ In den 60er und 70er Jahren galt Wagenbach als ein Sprachrohr der Außerparlamentarischen Opposition (APO). 1974/75 verlor er mehrere Prozesse, unter anderem wegen der Veröffentlichung des RAF-Manifests, und erhielt eine Haftstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Die DDR verbot dem Verleger zeitweilig Ein- und Durchreise, weil er Wolf Biermanns Lyrikband „Die Drahtharfe“ verlegt hatte.

Sein Geschichtsbewusstsein ist vom Nazi-Regime und vom Zweiten Weltkrieg geprägt. Sein Elternhaus in Berlin-Tegel wurde ausgebombt. „Noch immer geht er am liebsten am Tegeler Fließ spazieren, heute grasen dort Wasserbüffel“, sagt seine Ehefrau Susanne Schüssler, die den Wagenbach Verlag seit 2002 weiterführt. Auch Franz Kafka hat ihn geprägt. Dessen Romane lernte er in Frankfurt am Main kennen, wo er ab 1949 eine Buchhandelslehre absolvierte. Fritz Hirschmann, Herstellungsleiter bei S. Fischer, drückte ihm Kafkas „Prozess“ in die Hand. 1951 schrieb sich Wagenbach für Germanistik, Kunstgeschichte und Archäologie an der Frankfurter Goethe-Universität ein und promovierte 1957 über Kafka. Später veröffentlichte er eine rororo-Monographie über den Prager Schriftsteller.

Wagenbach wurde zunächst Lektor für deutsche Literatur bei S. Fischer. Mit den Einnahmen seiner Kafka-Monographie konnte er 1964, einen eigenen Verlag in West-Berlin gründen – unter der Devise „Geschichtsbewusstsein, Anarchie, Hedonismus“. Mit Autoren und Autorinnen wie Günter Grass, Ingeborg Bachmann und Johannes Bobrowski legte Wagenbach die Grundsätze seiner Verlagsarbeit fest. 1966 lernte er Erich Fried kennen und verlegte dessen Gedichtband „und Vietnam und“. Zu einem der erfolgreichsten Bücher des Verlags wurden Frieds „Liebesgedichte“. Verleger und Autor blieben Freunde bis zu Frieds Tod 1988.

Wagenbachs „Rotbücher“ waren der APO gewidmet. 1970 übernahm der Verlag außerdem Hans Magnus Enzensbergers „Kursbuch“ von Suhrkamp. Das Experiment mit einer kollektiven Verlagsarbeit scheiterte aber, weil der Verleger auf der Autonomie seines Lektorats beharrte. Der Verlag spaltete sich: Aus Wagenbachs Verlag ging 1973 der Rotbuch-Verlag hervor. Danach änderte der Verleger sein Konzept und verlegte sich mehr und mehr auf italienische Literatur. Dahinter stand der Geist der „Toskana-Fraktion“ – und eine weitere Freundschaft: mit seinem einstigen Verteidiger, dem späteren Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), der Anfang der 70er Jahre die Schließung des Verlages verhindert hatte. Für die Verbreitung italienischer Literatur im deutschen Sprachraum erhielt Wagenbach 1990 den „Nationalen Übersetzerpreis“ vom römischen Kulturministerium, außerdem das Bundesverdienstkreuz. 2001 folgte das Große Bundesverdienstkreuz.

Noch bis 1999 wirkte Wagenbach als Herausgeber am „Freibeuter“ mit, einer linksorientierten Vierteljahresschrift für Kultur und Politik. Seit 1987 wurde die Reihe „Salto“ mit Texten zeitgenössischer Autoren im roten Leineneinband zum Markenzeichen seines Verlags. 2004 erschienen die ersten Bände der „Vite“, der auf 45 Bände angelegten Edition Giorgio Vasari mit legendären Künstlerbiografien. Nach seinem 80. Geburtstag zog sich der Verleger allmählich zurück. „Er kann nicht mehr lesen“, berichtet seine Frau. „Er leidet an der Augenerkrankung Makuladegeneration, ist aber immer guter Laune.“ Über sein ansteckendes Lachen berichten viele Weggenossen. Das entspricht Wagenbachs Leitspruch nach Theodor Fontane: „Gewonnen kann durch Trübseligkeit nie etwas werden.“

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