Angriffe auf Juden Antisemitismus ist verstörend – nicht nur bei Flüchtlingen

Alles scheint wieder einmal auf verstörende Weise zusammenzupassen: Ein junger Ausländer schlägt in Berlin unter lautstarken Beschimpfungen auf einen Israeli mit traditioneller jüdischer Kopfbedeckung ein. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass es sich bei dem Täter um einen syrischen Flüchtling handelt, der seit 2015 in Deutschland lebt. Also dem Jahr, in dem fast eine Million Asylsuchende zu uns kamen und dem Staat streckenweise die Kontrolle dabei entglitt. Muslime gleich Terroristen gleich auch Judenhasser. So mögen viele jetzt denken. Doch solche Kurzschlüsse sind Unsinn. Die Judenfeindlichkeit ist nicht erst mit der großen Flüchtlingswelle in die Bundesrepublik gekommen. Sie war auch vorher schon vorhanden. Höchste Zeit, sich darum politisch und gesellschaftlich stärker zu kümmern.

Antisemitismus ist verstörend – nicht nur bei Flüchtlingen
Foto: SZ/Robby Lorenz

Im Durchschnitt kommt es in Deutschland zu vier antisemitischen Straften pro Tag. Statistiken belegen darüber hinaus, dass etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung antijüdische Vorurteile pflegen. Diese Zahl ist seit Jahren erschreckend konstant. Makabere Judenwitze auf Schulhöfen gehören genauso zum Alltag wie die Tatsache, dass jüdische Einrichtungen hierzulande unter besonderem Polizeischutz stehen müssen. So zu besichtigen übrigens auch schon vor 2015 im mittlerweile gutbürgerlichen Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, dem Schauplatz dieses jüngsten schrecklichen Übergriffs. Gleichwohl würde niemand auf die Idee kommen, alle Deutschen als Antisemiten abzustempeln. Genauso verbieten sich solche pauschalen Anschuldigungen gegen Muslime. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass viele Flüchtlinge, insbesondere Palästinenser, ganz persönliche Erfahrungen mit dem Staat Israel gemacht haben, die Wasser auf die Mühlen des Judenhasses sind. Das Problem ist also deutlich komplexer, als es die Untat eines jungen Syrers vermuten lässt.

Die Kanzlerin hat gerade erst betont, „mit aller Härte und Entschlossenheit“ gegen solche Vorfälle vorzugehen. Der Außenminister zeigte sich beschämt über den antijüdischen Exzess. Nur, was folgt daraus in der Praxis? Was geschieht, wenn die Empörungswelle wieder abgeebbt ist? Die Mahnungen eines Antisemitismusbeauftragten, wie er erstmals von einer Bundesregierung berufen wurde, werden da sicher nicht reichen. Um die Ächtung von Antisemitismus und Intoleranz mit Leben zu erfüllen, ist deutlich mehr Aufklärungsarbeit an Schulen notwendig. Warum dabei nicht auch den Besuch einer KZ-Gedenkstätte zur Pflicht machen und damit zumindest etwas Nachdenklichkeit auslösen? Für Zuwanderer wiederum muss das Thema in den Integrationskursen einen Schwerpunkt bilden. Und ja, vielleicht braucht es auch noch weiterer Symbolik. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller denkt darüber nach, einen neuen gesetzlichen Feiertag für die Hauptstadt einzuführen. Dabei brachte er auch den 27. Januar ins Gespräch, den Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. Ein überlegenswerter Gedanke nicht nur für Müllers Bundesland.

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