Klage aus tiefstem Herzen

St Ingbert · Auf den Tag genau an Benjamin Brittens 100. Geburtstag hat die Deutsche Radio Philharmonie jetzt in der Alten Schmelz eines der zentralen Werke des englischen Komponisten aufgeführt.

Gewaltig ist das Werk. Schon in der Besetzung: Orchester, Kammerorchester, Orgel, Chor, Knabenchor und drei Solisten. Gewaltig auch, was es den Musizierenden abverlangt: Anderthalb Stunden ohne Pause sind sie gefordert. Doch Benjamin Brittens "War Requiem" ist nie monumental, nie bombastisch. Trotz aller Größe wirkt die Musik oft in sich gekehrt, auch spröde mal und zerrissen.

Auf den Tag genau zu Brittens 100. Geburtstag führte die Deutsche Radio Philharmonie am Freitag mit dem Mainzer Hochschulchor, dem Bachchor und dem Knabenchor des Mainzer Domchors das bedeutende Werk des englischen Komponisten auf - in der nahezu ausverkauften Alten Schmelz in St. Ingbert (zuvor war man bereits in Metz zu Gast). Etwas inflationär werden solche Bauten gern als Industriekathedrale tituliert. Doch hier trifft der Vergleich. Britten schrieb sein beeindruckendes Requiem 1962 zur Einweihung der neuen Kathedrale von Coventry, die man direkt an die Ruinen der früheren Kirche baute: 1940 hatte die deutsche Luftwaffe diese samt der Stadt in Schutt und Asche gebombt. Es sollte ein musikalisches Andenken für alle Opfer des Krieges sein: Das hatte Britten im Sinn, versöhnend, ohne nach Schuld zu fragen. Die traditionelle lateinische Totenmesse bereicherte er so um Zeilen Wilfred Owens, der den Ersten Weltkrieg ohne jedes Hurra-Geschrei beschrieb. Der Dichter fiel 1918, bloß eine Woche vor Kriegsende.

Britten ästhetisierte das Kriegsgrauen nicht musikalisch. Der noch siegessichere Soldaten-Marschgesang, aber auch die rhythmischen Akzente, die wie ferner Kanonendonner tönen: Da bricht scheinbar das wirkliche Leben und Sterben immer wieder in das Requiem ein. Owens drastische Verse sind meist dem Tenorsolisten zugedacht: Christoph Prégardien singt sie mit noblem Ton, aber auch ergreifender Innerlichkeit, Klagen aus tiefstem Herzen. Auch seine beiden Solistenkollegen Susanne Bernhard (Sopran) und Thomas E. Bauer (Bariton) meistern ihren Part überzeugend. Wie die Erinnerung aus heiler Zeit hallt der Hymnus des Knabenchors - exzellente Stimmen, von Karsten Storck bestens vorbereitet. Ein Engelsgesang, der sich gegen die wüsten, schroffen Klänge absetzt.

Diese Klangmalerei Brittens mit geradezu szenischem Eindruck fordert freilich ob ihrer kompositorischen Finesse auch viel von Chor und Orchester. Dies zu organisieren, den Gesamtblick auf das Requiem nicht zu verlieren, ist eine hohe Kunst für den Dirigenten. Ralf Otto glückt dies souverän; beeindruckend etwa, wie präzise sich der musikalische Fluss von Orchester zum Kammerorchester und schließlich zum Orgelton verjüngt. Ein denkwürdiges Konzert.

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