Im Reich der Sinne

Eine werktreue Adaption der literarischen Vorlage? Die hatte Jakob Hinrichs bei seinem Graphic-Novel-Debüt nicht im Sinn

Eine werktreue Adaption der literarischen Vorlage? Die hatte Jakob Hinrichs bei seinem Graphic-Novel-Debüt nicht im Sinn. Seine "Traumnovelle" sieht der Zeichner als freie Interpretation, Arthur Schnitzlers Werk von 1926 nur als Ausgangspunkt eigener Erkundungen des ewig jungen Themas: sexuelle Wünsche, ob ausgelebt, verdrängt oder unterdrückt, dazu Misstrauen und Eifersucht, die gerne Hand in Hand gehen. Auch bei dem jungen Ehepaar Fridolin und Albertine, bei dem ein erotisches Ungleichgewicht die ganze Ehe aus der Balance zu bringen droht. "Komm sei nicht so", sagt sie zu ihm auf dem Rummelplatz, wo ein gestählter Preisboxer sie mal seine Muskeln fühlen lässt, "du hast doch schon so viel Erfahrung, und ich nur mit Dir". (Dieses "nur" schmerzt Fridolin.)

Nachts träumt jeder der beiden, leicht frustriert, seinen eigenen erotischen Traum - der bei Hinrichs als pralle Denkblase voller expliziter Motive über dem Ehebett schwebt. Fridolin, der einst bei einem Urlaub in Dänemark seiner Frau untreu wurde, vermutet dasselbe bei ihr. Vielleicht aus einem irrationalen Wunsch nach Rache heraus lässt er sich von einem alten Freund zu einem Maskenball mitnehmen, einer Orgie, in der sich die Grenze zwischen Realität und (Wunsch-)Traum auflöst.

Hinrichs erzählt das in eigenwilligen, stilisierten Bildern: Manche Figuren sind Insekten, manche Streichhölzer, mal wähnt man sich in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, mal in der Gegenwart, mal erinnern die Bilder an George Grosz, mal an Druckgrafiken, mal an alte Kinderbücher. Hinrichs gelingt es, eine Atmosphäre zu schaffen, die bereits fern der Realität ist, noch bevor Fridolin sich ins Reich der Träume aufmacht. Sein Werk lässt der Zeichner anders enden als Schnitzler seinen Text. Dass der am Ende dieses Comic-Bandes abgedruckt ist, ist hoch willkommen - das Lesen hintereinander (egal womit man beginnt) und der Vergleich beider Werke ist dann noch einmal eine Erfahrung für sich. tok

Jakob Hinrichs: Arthur Schnitzler. Traumnovelle. Edition Büchergilde, 158 S., 24,95 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort