Die Echse der Angst

St Wendel · Kinderkram? Die knapp 30 Filme mit der Monster-Echse Godzilla gelten bei vielen Kinogängern als genau das. Dabei bietet dieser japanische Mythos weit mehr: Der erste, sehr düstere Film von 1954 war eine Reaktion auf das Trauma der Atombomben auf Japan. Danach wandelte sich Godzilla zum Schutzpatron des Landes. Hollywood hat die Figur erstmals 1998 mit mäßiger Qualität ins Kino gebracht. Jetzt läuft der nächste Versuch an – und lässt hoffen.

 Ein Blick auf die jüngste amerikanische Version von „Godzilla“ – sie kommt sogar in 3D in unsere Kinos. Foto: Warner

Ein Blick auf die jüngste amerikanische Version von „Godzilla“ – sie kommt sogar in 3D in unsere Kinos. Foto: Warner

Foto: Warner

Ein Sonntag in den 70ern, 16 Uhr, Central-Theater St. Wendel. In seiner "Jugendvorstellung" zeigt das Kino wieder mal einen Monsterfilm aus Japan. Laut, bunt und mit der Riesenechse Godzilla, die mit Feueratem Düsenjäger vom Himmel holt und mit einem Schwanzschwenk ganze Straßenzüge einebnet - die perfekte Gaudi für Zwölfjährige.

Kinderkram also? Ja und nein. Zu dieser Zeit hatte sich die Figur schon einem jungen Publikum zugewandt. Dieses erfreute sich an der Zertrampelung offensichtlicher Modellbaulandschaften und sah sich möglicherweise selbst als Godzilla, der - wer wünschte sich das damals nicht - die Welt der Erwachsenen in Schutt und Asche legt. Doch 1954, als Godzillas Schrei zum ersten Mal durchs Kino hallte, war das noch anders. Da trampelte die Riesenechse nicht in Richtung Jugendvorstellung, sondern war die Titelfigur eines düsteren, bitteren Erwachsenenfilms. Angestachelt vom Erfolg des US-Monsterfilms "Panik in New York" hatte sich die japanische Produktionsfirma Toho eine eigene Kreatur ausgedacht, steckte einen Darsteller in einen 100 Pfund schweren Gummi-Anzug und ließ ihn auf Modellwelten los. Das Ergebnis war ein düsterer, pessimistischer Film, der nichts zu tun hat mit dem späteren Kindergeburtstagskino. Denn bei den Dreharbeiten waren keine zehn Jahre nach den Atombomben-Explosionen in Hiroshima und Nagasaki vergangen, "Godzilla" war eine überdeutliche Verarbeitung eines Traumas. Sieht man sich den Film vor diesem Hintergrund heute an, erschüttert er: Am Anfang bleibt die Leinwand schwarz, Godzillas Schritte hallen wie Hammerschläge auf der Tonspur, sein Schrei (eigentlich elektronisch verzerrtes Malträtieren von Kontrabass-Saiten) geht bis ins Mark. Das Wesen, von Atombombenversuchen aus langem Unterwasserschlaf aufgeschreckt, kommt wie ein Feuersturm über Japan, man sieht sterbende Mütter, tödlich verstrahlte Kinder - der scheinbar triviale Monsterfilm schmerzt.

In den fast 30 Filmen danach hat sich das verändert: Es wurde bunter, lustig, kinderfreundlich, Kreaturen wie die Riesenmotte Mothra und das Meermonster Ebirah kamen hinzu - und auch die Figur Godzilla wandelte sich: In den 50ern symbolisierte sie die atomare Bedrohung, später wurde sie eine Art Schutzpatron für Japan selbst und schlug sich mit anderen Kreaturen und Außerirdischen herum, die man nicht selten als Platzhalter für Amerika und Russland sehen konnte.

Lange Zeit ließen sich die Monsterfilme in alle Welt verkaufen; erst als diese Welle abebbte, überließ die Firma Toho ihre Figur Hollyood für einen eigenen Film: 1998 ließ Roland Emmerich Godzilla auf New York los, doch inmitten aller Tricktechnik blieb ausgerechnet die Titelfigur blass (wie auch die menschlichen Charaktere). Die mythische Qualität der Figur, die man selbst in den schwächsten japanischen Filmen spürt, fehlte hier völlig. Auf geplante Fortsetzungen verzichtete man angesichts mäßig gefüllter Kassen.

Jetzt nimmt Hollywood einen zweiten Anlauf und hat den Engländer Gareth Edwards, 38, einen Kenner und Fan des Genres, engagiert und ihm 160 Millionen Dollar an die Hand gegeben. Glaubt man den ersten Kritiken, ist Edwards ein technisch brillanter Film gelungen, dessen gute Besetzung (Juliette Binoche, Bryan Cranston, Ken Watanabe) etwas unterbeschäftigt wirkt - und von der Titelfigur sieht man weniger als erwartet. Aber so, wie der erste "Godzilla"-Film eine Reaktion auf die Atombombe war, so bezieht sich diese Version auf jüngere Katastrophen - am Anfang des Films stehen ein Tsunami und ein Störfall in einem japanischen Atomkraftwerk. "Godzilla" wird wieder zum Symbol aktueller Ängste.

"Godzilla" startet morgen in fast allen Kinos. Kritik morgen im treff.region. Das beste deutsche Buch über Godzilla ist Jörg Buttgereits "Die Monsterinsel" (Martin Schmitz Verlag, 255 Seiten, 24,50 Euro).

Zum Thema:

Auf einen BlickDie anderen neuen Filme: Die Camera Zwo (Sb) zeigt Denis Villeneuves eigenwilligen Film "Enemy" über einen Mann (Jake Gyllenhaal), der entdeckt, dass er anscheinend einen Doppelgänger hat. Ebenfalls in der Camera Zwo läuft Maximilian Erlenweins Thriller "Stereo" mit Jürgen Vogel - der wird von einem Mann (Moritz Bleibtreu) verfolgt, den nur er sehen kann. Das Filmhaus (Sb) zeigt die Doku "Die Wirklichkeit kommt" über moderne Überwachungstechniken und die Angst, die sie bei vielen Menschen auslöst. red

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