Der alte Mann und das Kind

Berlin · Eigentlich ist Vincent der wohl furchtbarste Babysitter aller Zeiten: Er säuft, spielt und schläft mit Prostituierten. Trotzdem kann der Junge Oliver sich keinen besseren Freund vorstellen. „St. Vincent“ ist ein wunderbar warmherziger Film mit Bill Murray.

 Ganz entspannt: Vincent (Bill Murray) und der Junge Oliver (Jaeden Lieberher). Foto: Sony

Ganz entspannt: Vincent (Bill Murray) und der Junge Oliver (Jaeden Lieberher). Foto: Sony

Foto: Sony

Dass es das Spielfilm-Kinodebüt eines Regisseurs zu einer Golden-Globe-Nominierung bringt, kommt nicht oft vor. Theodore Melfi aber hat genau das mit seinem Film "St. Vincent" geschafft. Mit Filmen wie "Grand Budapest Hotel" von Star-Regisseur Wes Anderson geht er ins Rennen um die Vorboten der Oscars - und das völlig zu recht. Melfi hat einen wunderbaren Film mit Bill Murray ("Lost in Translation") und Melissa McCarthy ("Brautalarm") auf die Leinwand gebracht. Er erzählt die Geschichte des versoffenen und spielsüchtigen Vietnam-Veteranen Vincent.

Dieser Vincent ist kein Menschenfreund und in seinem Leben passiert nicht viel. Der alte Mann sitzt entweder in seinem Haus oder seiner Stammkneipe und versäuft dort das wenige Geld, das er hat. Alternativ verzockt er es auf der Pferderennbahn. Dann plötzlich bricht seine Nachbarin Maggie (McCarthy) im wahrsten Sinne des Wortes in sein Leben ein. Ihr Umzugswagen rammt den Baum vor Vincents Haus und zerdeppert sein Auto. Kein guter Start in eine neue Nachbarschaft. Trotzdem bittet die beruflich sehr eingespannte Alleinerziehende ihren schrägen Nachbarn Vincent, den Babysitter für ihren Sohn zu spielen.

Und tatsächlich kommt der zwölfjährige Oliver (Jaeden Lieberher) nicht nur der menschenscheuen Katze des alten Mannes nahe, sondern schleicht sich langsam, aber sicher auch in sein Herz - und das, obwohl Vincent nicht sonderlich gut für ihn sorgt. Er schleppt den Jungen mit in verrauchte Kneipen, macht ihn schließlich auch noch mit der schwangeren Stripperin Daka (Naomi Watts ) bekannt.

Was dann passiert, ist zwar einigermaßen vorhersehbar, aber so wunderbar und humorvoll erzählt, dass das nicht weiter schlimm ist. Ganz neu ist die Grundidee natürlich nicht. In der Filmgeschichte haben Kinder immer wieder die Herzen verbitterter alter Männer schmelzen lassen: vom Weihnachts-Kultfilm "Der kleine Lord" bis hin zu Filmen wie "Gran Torino" mit Clint Eastwood oder "About a boy" mit Hugh Grant .

Dass "St. Vincent" die "About a boy"-Zutaten ziemlich hemmungslos klaut: einen grummeligen Einzelgänger, eine überforderte Alleinerziehende, einen kleinen Jungen, der Herzen erweichen kann, und ein großes Finale, das zu Tränen rührt - das macht überhaupt nichts.

Denn die Tragikomödie hat viele wunderbare, rührende und lustige Szenen. Dem Regisseur gelingt es, originelle Bilder zu schaffen. Außerdem ist der Film bis in die kleinste Nebenrolle (super: Chris O'Dowd als katholischer Lehrer) hervorragend besetzt. Weil vor allem Schauspielerin McCarthy, Filmsohn Lieberher und allen voran Superstar Bill Murray eine grandiose Leistung abliefern, wirkt die Geschichte so liebevoll und frisch, als sei sie noch nie zuvor erzählt worden. Auch für Murray gab es - völlig zu Recht - eine Globe-Nominierung als bester Hauptdarsteller in einer Komödie.

Ab morgen in SB im Cinestar und im Passage-Kino.

Zum Thema:

Auf einen BlickDie anderen neuen Filme: Das Filmhaus Saarbrücken zeigt das packende Porträt "Mercedes Sosa " von Rodrigo H. Vila über die südamerikanische Protest-Sängerin. Laura Poitras hat für "Citizenfour" Edward Snowden während seinen Enthüllungen über die NSA begleitet. In der Camera Zwo wird mit dem Episodenfilm "Wild Tales - Jeder dreht mal durch" von Damián Szífrón ein Sinn für schwarzen Humor gefordert. "Die süße Gier" von Paolo Virzì zeichnet in Form eines Ermittlungskrimis ein Spiegelbild des krisengeschüttelten Italiens. Außerdem: Das Liebesdrama "The best of me - Mein Weg zu Dir", in dem sich zwei Menschen zum zweiten Mal ineinander verlieben; "Let's be cops", eine witzlose Komödie um zwei falsche Polizisten; und "96 Hours - Taken 3", das wenig tiefgründige Finale der Agenten-Filmreihe. pam

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