Erinnerungskultur bekommt neue Impulse Wird das mal Kunst für die Bergleute?

Saarbrücken · Erinnerungskultur wird hier zu Lande immer noch Vereinen oder Historikern überlassen. Jetzt bringt eine Kunst-Studentin frischen Wind in das Fach.

Marie Götze vor den Luisenthaler Fördertürmen. Sie studiert an der Saarbrücker Kunsthochschule und erarbeitet ein künstleriches Projekt mit Bergleuten. Textiles spielt dabei eine große Rolle.

Marie Götze vor den Luisenthaler Fördertürmen. Sie studiert an der Saarbrücker Kunsthochschule und erarbeitet ein künstleriches Projekt mit Bergleuten. Textiles spielt dabei eine große Rolle.

Foto: BeckerBredel

Wo bin ich hier eigentlich gelandet? Diese Frage stand für Marie Götze ganz am Anfang ihres Aufenthaltes im Saarland. „Ich spürte eine große Vertrautheit und wusste nicht warum“, sagt sie – und so machte sie sich auf einen Rechercheweg, der ihr familiäre Erzählungen vom Übertage-Bergbau wieder ins Gedächtnis rief, und der sie zwischenzeitlich dicht heran führte an das, was die Saarländer meist als Synonym wählen, wenn sie von ihrer Identität sprechen: die Bergarbeiterkultur.

Götze wurde in Halle geboren und wuchs in Essen auf, wegen eines Kunststudiums kam sie an die HBK Saar, mittlerweile schreibt sie an ihrer Masterarbeit im Studienfach „Public Art Public Design“. Genau deshalb klettert sie seit rund einem Jahr auf Halden, gräbt nach Fossilien und webt an ihrem Webstuhl schwere schwarze Stoffe, die sie bestickt. Sie besucht Mettenschichten, bastelt bizarre „Ritual“-Gebilde aus roten Federbüschen von Schichthüten und hält regelmäßig in den Räumen des Kulturvereins Burbach „Offene Treffs für Bergleute und Leute“ ab. An den Wänden in Burbach hängen erste Skizzen und Objekte, Schriftbänder und auch ein Obersteiger-Kittel – Inspirationen für Götzes Gäste, die man besser als Zeitzeugen bezeichnet oder als Forschungsobjekte.

Denn Götze sammelt Erfahrungen ein, um sie in eine performative Installation oder eine installative Performance zu verwandeln, oder, konkreter gesprochen, in Kunst, die begehbar ist und öffentlich sichtbar und wirksam wird – im Dienste des sozialen Umbaus der Saar-Gesellschaft. Denn der Studiengang Public Art/Public Design möchte durch praktisch-ästhetische Prozesse „die Entwicklung von Zukunftsperspektiven für Gesellschaften im Strukturwandel“ mitgestalten. Soweit das akademische Theorie-Gerüst, für das, was Goetze tatsächlich so macht: Sie hört Saarländern und Saarländerin zu, ermuntert sie, sich zu erinnern und ihr Geschichten zu erzählen. Für jeden ihrer fünf Treffs hat sie ein Leit-Thema entwickelt, beispielsweise körperliche Erfahrungen oder Arbeitsabläufe unter Tage.

Doch eigentlich darf und soll in Burbach alles auf den Tisch, was die Menschen mit dem Bergbau erlebt haben. „Ich möchte zuerst mal den Erzählfluss in Gang bringen“, sagt Götze, die sich als begeisterte Zuhörerin erweist. Jedes Detail saugt sie auf. Erst nach den Treffen beginnt die Analyse und das Weiterspinnen von Ideen, die der „Kultivierung einer neugierigen Praxis“ dienen könnten. Denn letztere sieht Götze als Voraussetzung dafür, dass sich auch nachfolgende Generationen an den Bergbau erinnern, den sie selbst niemals kennen gelernt haben. Dafür muss es, so Götze, keinen zentralen „Memory Temple“, sprich kein Landes-Bergbau-Museum, geben. Das Saarland besitze statt dessen viele Erinnerungsorte – vom Rischbachstollen über das Polygon bis zum Erlebnisbergwerk Velsen –, die sich bestens dazu eigneten, eine „lebendige nomadische Erinnerungspraxis“ zu etablieren. Was genau sich dahinter verbirgt? Goetzes Masterarbeit wird es hoffentlich enthüllen. Jedenfalls ist der Begriff neu im hier zu Lande bis dato traditionell von (Kultur-)Historikern, Vereinen, Denkmalpflegern oder Politikern beackerten Feld der Industriekultur-Arbeit. Im Ruhrgebiet sind längst die Künstler dran.

Bis zu zehn Leute finden sich bei Götzes Offenen Treffs in Burbach ein, darunter das „Urgestein“ des Saar-Bergbaus, Walter Engel, der in Camphausen und in Göttelborn einfuhr und Jahrzehnte lang den Saarknappenchor leitete. Auch die Künstlerin Vera Loos nimmt Teil, deren Vater „Schießmann“ (Sprengmeister) auf einer französischen Grube war. Sie erinnert sich daran, wie akribisch zu Hause über das Dynamit Buch geführt wurde und dass es dann doch am Monatsende nie 100 Prozent aufging mit den Mengen. Vor allem zur Zeit der RAF seien die Kontrollen scharf gewesen: „Es war der totale Stress – für meine Mutter, denn sie machte die Buchhaltung für meinen Vater“, sagt Loos. Als unversiegbare Quelle für Anekdotisches hat sich laut Götze Walter Engel erwiesen, vor allem kann er alle Fragen nach Stofflichen beantworten, was für die Textilkünstlerin Götze immens wichtig ist. So erfährt sie, was ein Schweißkittel oder ein Arschleder ist. „Die Haut speichert Erinnerungen“, sagt sie. Wenn Engel an die Unter-Tage-Arbeit denkt, kommt ihm allerdings ganz anderes, Ideelles in den Sinn: „Ich denke daran, wie gut wir zusammengearbeitet haben. Wenn man sah, dass es irgendwo klemmt, hat‘s geheißen: Komm, ich helf dir.“ Und ja, es sei wahr: wenn ein Bergmann starb, hätten die Kollegen dessen Witwe das Haus fertig gebaut. Die legendäre saarländische Solidarität, bei Engel wird sie lebendig. Vielleicht findet sie auch Niederschlag in Götzes Kunstwerk?

„Ich beschäftige mich mit Zusammenhängen zwischen Verschwinden und Wiederauftauchen“, sagt die Masterstudentin, die damit nicht nur mentale Prozesse meint, sondern auch geologische. Die Umwälzungen und Veränderungen in der Landschaft nimmt sie für ihr Kunstwerk mit in den Blick. An die Wand in Burbach hat sie einen Kurz-Text der Frauenforscherin und Naturwissenschafts-Historikerin Professorin Donna Haraway geschrieben: „Es ist von Gewicht, mit welcher Erzählung wir andere Erzählungen erzählen. (...) Es ist ein Gewicht, mit welchem Anliegen wir andere Anliegen denken.“

Mag Götzes Ansatz auch recht abstrakt klingen, ihre Herangehensweise ist menschen-zugewandt und empathisch.

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