Steuerfahnder nicht kriminalisieren Breite Kritik an Schweizer Haftbefehlen gegen Steuerfahnder

Herr Poß, die Justiz ist in der Schweiz genauso unabhängig wie in Deutschland. Wozu jetzt also die ganze Aufregung?Poß: Wir haben es hier mit einem sehr unterschiedlichen Rechtsstaatsverständnis von zwei demokratischen Staaten zu tun. Die SPD beklagt schon seit Jahren, dass die Steuerkriminalität gewissermaßen ein Geschäftsmodell der Schweizer Banken ist

Herr Poß, die Justiz ist in der Schweiz genauso unabhängig wie in Deutschland. Wozu jetzt also die ganze Aufregung?Poß: Wir haben es hier mit einem sehr unterschiedlichen Rechtsstaatsverständnis von zwei demokratischen Staaten zu tun. Die SPD beklagt schon seit Jahren, dass die Steuerkriminalität gewissermaßen ein Geschäftsmodell der Schweizer Banken ist. Wenn Diktatoren und Massenmörder aus ihren Heimatländern fliehen mussten, dann haben sie ihr geraubtes Vermögen oft genug in die Schweiz gebracht. Aber nicht diese Leute werden dort kriminalisiert, sondern wie gerade geschehen drei Steuerfahnder aus Deutschland. Das ist ein politischer Skandal.

Gegenwärtig wird ein Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz verhandelt, das solche Haftbefehle künftig ausschließen würde. Warum wollen sich die SPD-Länder diesem Abkommen im Bundesrat verweigern?

Poß: Man darf dieses Abkommen nicht nur an der Strafverfolgung festmachen. Nach jetzigem Stand sehen die Bestimmungen im Kern vor, dass vorsätzlicher Steuerbetrug durch eine einmalige Nachversteuerung legalisiert wird. Das ist aus unserer Sicht völlig inakzeptabel. Dem wird die SPD nicht zustimmen.

Welche Auswirkungen haben die Haftbefehle für den weiteren Verhandlungsverlauf?

Poß: Das Klima für weitere Gespräche dürfte sich nachhaltig verschlechtert haben. Die Gefahr des Scheiterns ist gewachsen.

Dann allerdings mit dem möglichen Resultat, dass auch die SPD-Länder keinen einzigen Cent von deutschem Schwarzgeld in der Schweiz wieder sehen?

Poß: Bei einer rein materiellen Betrachtung könnte das in der Tat die Konsequenz sein. Aber es geht um eine Güterabwägung, die auch fundamentale Prinzipien des Rechtsstaats einschließen muss. Steuerhinterzeihung in großem Stil darf nicht straffrei bleiben. Sonst ist der Ehrliche wirklich der Dumme.

Was erwarten Sie von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble?

Poß: Offenbar hat der Bundesfinanzminister die Dimension des Konflikts noch nicht erfasst. Anstatt Verständnis für die Schweizer Position zu äußern, erwarte ich eine glasklare Stellungnahme dazu, wie Wolfgang Schäuble die Dinge aus der Sicht des deutschen Rechtsstaatsverständnisses sieht. Dazu gehört, dass er die Schweiz auffordert, ihr Geschäftsmodell aufzugeben, länderübergreifende Steuerkriminalität zu schützen. Und dazu gehört auch, dass Schäuble klar Partei für die drei Steuerfahnder ergreift, die jetzt ins Visier unseres Nachbarlands geraten sind.Berlin. Der Beschluss der Schweizer Justiz, gegen drei Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen Haftbefehl zu erlassen, weil sie im Februar 2010 am Ankauf einer CD mit Daten deutscher Steuerhinterzieher beteiligt gewesen sein sollen, löst in Deutschland Irritationen aus. "Es besteht der konkrete Verdacht, dass aus Deutschland klare Aufträge gegeben worden sind zum Ausspionieren von Informationen der Credit Suisse", sagte der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber am Samstag im Schweizer Radio. "Ich betrachte dieses Vorgehen als einen Einschüchterungsversuch gegenüber der deutschen Politik, weil die Schweiz befürchtet, dass das geplante Steuerabkommen scheitert", betonte dagegen Steuergewerkschaftschef Thomas Eigenthaler in der "Bild am Sonntag". NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) kritisierte, Täter seien nicht die Finanzbeamten aus NRW, sondern deutsche Steuerflüchtlinge und die Schweizer Banken, die ihnen helfen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) müsse sich vor die Steuerbeamten stellen und darauf drängen, dass die Haftbefehle aus der Welt geschafft werden, so Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. dpa

Foto: dpa

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