Neue Funde in Mainz, neue Rätsel

Mainz · Archäologen erkunden den „Alten Dom“, den Vorgänger der heutigen Mainzer Bischofskirche. Die Bausubstanz reicht bis in die Spätantike. Eine so frühe kirchliche Nutzung lässt sich aber bislang nicht nachweisen. Jetzt gibt es Hoffnung auf weitere Entdeckungen.

Archäologische Grabungen im Untergrund der Mainzer Johanniskirche fördern immer neue Überraschungen zutage. Ein jetzt entdeckter Teil eines Grabsteins gibt neue Einblicke in die Vorstellungswelt des frühen Christentums. "Ich wusste sofort, das ist etwas völlig Neues", sagt die Archäologin Marion Witteyer. Die Forscherin vermutet, dass der Stein aus dem fünften Jahrhundert und damit aus der Spätantike stammen könnte. Die Kunsthistoriker Sebastian Ristow (Köln) und Matthias Untermann (Heidelberg) bestätigen, dass es sich um einen besonderen Fund handelt, auch wenn die genaue Datierung vielleicht eine Entstehungszeit im frühen Mittelalter ergeben sollte. Der Grabstein zeigt einen Kreisbogen mit einem Kreuz - vermutlich Teil eines als Chi-Rho bezeichneten Christus-Monogramms mit den Buchstaben Alpha und Omega, die für den Anfang und das Ende aller Zeiten stehen. Kunstvoll ausgearbeitete Bilder zeigen Wein und ein Palmblatt, wecken Anklänge an das christliche Gleichnis vom Weinstock und den Einzug Jesu in Jerusalem. Ein Rest einer Inschrift enthält das Wort "parentes" (Eltern), vielleicht auch in der Dativform "parentibus", möglicherweise als Teil eines Satzes wie "den Eltern entrissen". Jetzt hofft Witteyer, bei der Fortsetzung der Grabungen einen weiteren Teil der Inschrift zu entdecken.

Wo dieser Grabstein einmal stand, kann zurzeit niemand sagen. Denkbar ist, dass er von dem am südlichen Stadtrand gelegenen Albansberg kommt, wo bereits für das vierte Jahrhundert Gräber nachgewiesen sind. "Wir kennen keine Parallelen im frühchristlichen römischen Deutschland", erklärte Witteyer. "Selbst in Trier haben wir nicht Vergleichbares gefunden."

Mit einer Entstehungszeit im frühen vierten Jahrhundert ist der Trierer Dom die älteste Kirche Deutschlands. Vielleicht tauchen die im Sommer 2013 begonnenen Grabungen im Untergrund der Mainzer Johanniskirche noch tiefer in die Römerzeit ein - Grabungsleiter Ronald Knöchlein vermutet, dass die Bausubstanz bis ins erste nachchristliche Jahrhundert reichen könnte. Aber der Kölner Archäologe und Kunsthistoriker Ristow gibt den Mainzern zu bedenken: "Nicht alles, was unter einer Kirche ist, muss schon eine Kirche gewesen sein." Grabungsleiter Knöchlein fesselt vor allem ein als "Bau 1" bezeichneter Vorgängerbau der Johanniskirche, der mit einer 1,20 Meter starken Mauer sehr solide gearbeitet war, eine beträchtliche Nord-Süd-Ausdehnung von etwa 20 Metern hatte und vermutlich in der Zeit zwischen 320 und 340 entstanden ist. In den vergangenen Monaten hat er drei Pfeilersockel gefunden, die zu diesem Gebäude gehört haben könnten. Bei den weiteren Grabungen will er jetzt Hinweise auf die Westmauer dieses Baus suchen - und nach Belegen für eine kirchliche Nutzung. Knöchlein ist überzeugt: "Schon im vierten Jahrhundert könnte in Mainz eine bischöflich organisierte Kirche bestanden haben."

Zurzeit gibt es noch mehr Fragen als Antworten. "Ich kenne keine Kirche, die so seltsam aussieht", sagt der Heidelberger Professor Untermann. "Die heutige Kirche steht ohne Fundament auf dem Estrich der Vorgängerbauten, das kann man kaum glauben. Das ist von Leuten gebaut, die ein seltsames Verständnis von Statik hatten." Neben der Datierung von Mauerwerk mit Hilfe der Kohlenstoffmethode sieht Untermann in den Besonderheiten der Bautechnik einen weiteren Beleg für den Ursprung der Kirche in der Merowingerzeit, im siebten Jahrhundert: "In der Zeit Karls des Großen hätte man das auf keinen Fall mehr so gemacht." Die Grabungen verhindern, dass die evangelische Gemeinde die Johanniskirche für Gottesdienste nutzen kann. Aber Dekan Andreas Klodt will die Archäologen nicht unter Zeitdruck setzen. Die sollen die Kirche noch mindestens bis Ende des Jahres erforschen - wie es dann weitergeht, ist noch ungewiss. Beide christliche Kirchen hoffen darauf, dass die Grabungen mehr Licht auf das sonst oft als dunkel bezeichnete Frühmittelalter werfen. Die Grabungen dienen so auch der Ökumene, wie Klodt sagt: "Der alte Dom gründet tief in unserer gemeinsamen christlichen Geschichte und ist deshalb eine konfessionsverbindende Kirche."

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HintergrundNach jüngsten Erkenntnissen der Landesarchäologie Rheinland-Pfalz zeichnen sich diese Hauptabschnitte in der Baugeschichte der Johanniskirche in Mainz ab.Um 330: Spätantiker Vorgängerbau mit unbekannter Funktion, als "Bau 1" bezeichnet Um 660: Kirchenbau der Merowingerzeit, Mauerwerk von "Bau 1" teilweise mit integriert, Grundriss entspricht etwa der heutigen Kirche, mit merowingischen Arkadenpfeilern im Mittelschiff und noch erhaltenen Rundbogenfenstern.910: Nach spätkarolingischem Umbau Weihe unter Erzbischof Hatto, dreischiffige Basilika 1036: Umzug des Domkapitels in den neugebauten Dom, Umbau zur Stiftskirche.Bis 1350: Umbau mit gotischer Gestaltung des Westchors.Seit 1830: Evangelische Pfarrkirche.1906: Umbau nach Plänen von Friedrich Pützer .1942: Zerstörung bei Luftangriff im Zweiten Weltkrieg1956: Einweihung nach Wiederaufbau durch Karl Gruber.2009: Außensanierung.

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