Nicht von Pappe

Wadgassen. Fällt sie ins Meer? Bleibt sie oben? Um des Seemannes Mütze muss man fürchten - so kräftig braust der Wellengang. Nur: Dessen Naturgewalt hängt vom Betrachter ab, schließlich ist er es, der an der Kurbel dreht, die den Seemann durch die papierenen Wellentäler schickt - alles eine Sache der Mechanik

Wadgassen. Fällt sie ins Meer? Bleibt sie oben? Um des Seemannes Mütze muss man fürchten - so kräftig braust der Wellengang. Nur: Dessen Naturgewalt hängt vom Betrachter ab, schließlich ist er es, der an der Kurbel dreht, die den Seemann durch die papierenen Wellentäler schickt - alles eine Sache der Mechanik. Sie spielt die grundlegende Rolle bei der sehenswerten Ausstellung "Papier in Bewegung! Pop-up-Bücher und Papiermechanik". Im Zeitungsmuseum in Wadgassen zeigt Kurator und Künstler Walter Ruffler eigene mechanische Papiermodelle und Stücke, die er gesammelt hat; manchmal Historisches, oft Skurriles, stets Originelles.Die Geschichte der Papiermechanik illustriert die Ausstellung durch Stücke aus dem 19. Jahrhundert, als Verlage Druckbögen herausbrachten, deren Einzelteilen, geknickt, gefalzt, geklebt, man als Bastler Leben einhauchte - meist durch Kurbeln im Unterbau der Objekte. Besonders raffiniert (und der Mühe des Kurbelns enthoben) wirken warme, aufsteigende Luft und Sand, dessen Rieseln hinter den Kulissen beispielsweise Mühlräder rotieren lässt.

Wie die Mechanik im Detail funktioniert, wie etwa ein Drachen sein Maul zuschnappen lässt oder wie drei Wimbledon-Besucher im höchsten Tennisglück ihre Köpfe unablässig von links nach rechts schwenken, erklärt der didaktische Teil der Ausstellung, bei der Mitmachen ausdrücklich erwünscht ist: Walter Ruffler hat 23 Objekte auf Sockeln gestellt, an deren Kurbeln man drehen kann. Auch wer sich nicht zwingend für Termini wie Reibradantrieb, Kurbelschwinge, Sperrrad oder Nockenantrieb interessiert - es fasziniert, wie viele verschiedene Bewegungen hier vom schlichten Kurbeln in Gang gesetzt werden.

Die restlichen Objekte der Ausstellung sind in Vitrinen untergebracht und können nicht bekurbelt werden, aber auf Bildschirmen sind 60 Objekte in Bewegung zu sehen. Ruffler zeigt zudem einige seiner ersten Skizzen, das notwendige Werkzeug zum Basteln (er bevorzugt 170-Gramm-Papier) und die Einzelteile, aus denen er seine Arbeiten zusammenfügt. Abseits ihrer mechanischen Finesse erzählen sie kleine Bewegungsgeschichten, Lebensmomente: Im Objekt "Arbeitsmarktpolitik" rammt eine große Hand ein Figürchen in den Boden, in "Piratenbraut" blickt die Titelfigur immer von einem Anbeter zum anderen und wieder zurück - eine dank Kurbel unendliche Dreiecksgeschichte.

Ruffler zeigt auch Gesammeltes von Kollegen, bei denen die Grenzen zwischen Mechanik, Spielerei, Kunst und politischem Kommentar fließend sind. So könnte man "Impatient Patient", eine Hand, deren Finger (abgesehen vom verbundenen Daumen) ungeduldig auf die Tischplatte trommelt, durchaus als Kritik deuten am britischen Gesundheitssystem - dessen Mühlen mahlen ja bisweilen langsamer als die Papiermühlen dieser Ausstellung. Ein Höhepunkt: Eine papierene Orgel mit Blasebalg, 1984 mit dem Erfinderpreis der BBC prämiert. Vieles hier ist auch Gebrauchskunst, verkauft etwa an Londoner Touristenzentren, aber stets kunstvoll und humorig: ob ein königlicher Hinrichter mit Beil und Opferliste in der Tasche oder ein Ufo, das einen unbescholtenen Bürger entführt.

Als Exkurs widmet sich der letzte Raum einer verwandten Papierkunst: dem Pop-up-Buch, aus dem beim Aufklappen wundersame Welten erwachsen, Monster ihren Kopf recken oder Hexenhäuser mit Rundumblick emporwachsen. Auch da gibt es historische Stücke zu sehen und aktuelle, höchst aufwändige wie ein "Dschungelbuch", dessen sattgrüne Flora geradezu nach dem Leser zu greifen scheint. Egal ob nun Buch oder Objekt - es geht, neben dem Handwerk und der papierenen Feinmechanik, vor allem ums Erzählen. Und das ist hier so minimalistisch wie oft hinreißend.

 "Stürmische See" heißt das Objekt von Walter Ruffler. Unter dem wettergeplagten Seemann lauert sein "Chinesischer Glücksdrache". Fotos: Museum

"Stürmische See" heißt das Objekt von Walter Ruffler. Unter dem wettergeplagten Seemann lauert sein "Chinesischer Glücksdrache". Fotos: Museum

Bis 1. Mai. Eröffnung heute Abend um 19 Uhr. Es gibt Führungen, außerdem werden Workshops für Grundschulklassen und Bastelbögen zum Nachbauen angeboten.

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