Was ist, wenn Seehofer Ernst macht?

Berlin · Schon CSU-Übervater Strauß drohte, die Fraktions-Ehe mit der CDU aufzukündigen. Aus Angst vor der bundespolitischen Bedeutungslosigkeit lenkte er ein. Die droht der Partei heute wieder.

Was wäre, wenn CSU-Chef Horst Seehofer tatsächlich die Scheidung einreicht? Wenn er die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag aufkündigt und die drei CSU-Minister aus dem Kabinett abzieht, weil die Gespräche der schwarz-roten Koalition am Wochenende keine Ergebnisse zur Begrenzung des Flüchtlingsansturms bringen? "Wir sind auf alles vorbereitet, juristisch, politisch, prüfen dieses und jenes", ließ der bayerische Ministerpräsident die CDU gestern noch mal wissen.

Mit seiner Drohung wandelt Seehofer mehr denn je auf den Spuren von CSU-Übervater Franz-Josef Strauß . Nach der verlorenen Bundestagswahl 1976 führte Strauß bei der Klausurtagung in Wildbad Kreuth einen Trennungsbeschluss herbei, die CSU sollte als selbstständige Fraktion ins Parlament einziehen. Dieser Plan verflüchtigte sich rasch, nachdem Helmut Kohl drohte, einen bayerischen CDU-Landesverband zu gründen.

Rein rechnerisch wäre es kein Problem für Kanzlerin Angela Merkel, wenn die CSU sich aus der Regierung und der Fraktionsgemeinschaft verabschieden würde. Sie müsste zwar neue Minister in Absprache mit der SPD benennen, allerdings hätten CDU und SPD ohne die 56 CSU-Abgeordneten noch eine satte Mehrheit im Bundestag - 447 Stimmen von 630. Gleichwohl wäre eine Trennung für Merkel brandgefährlich: "Das würde sie in eine noch schwierigere Situation bringen", glaubt der Trierer Politologe Uwe Jun. Denn Merkel werde dann auch in der eigenen Partei weiter massiv an Unterstützung verlieren. "Die innerparteiliche Kritik wird deutlich anschwellen." Demgegenüber werde die CSU dann als Oppositionspartei bundesweit versuchen, in Konkurrenz zur AfD zu treten.

Rechtlich sind laut Bundestagsverwaltung ein Austritt der CSU-Abgeordneten aus der Unionsfraktion und die Bildung einer eigenen Fraktion kein Problem. Die Besetzung von Gremien, "die Redezeitverteilung, die Verteilung der Plätze im Plenarsaal, der Räumlichkeiten in den Bundestagsgebäuden" müssten die dann fünf statt wie bisher vier Fraktionen untereinander aushandeln.

Politisch wäre dies aber eine Entscheidung von historischer Tragweite - immerhin existiert die Fraktionsgemeinschaft seit 1949. Manch einer in Berlin sieht dann sogar den Sturz der Kanzlerin kommen. Möglich könnte auch ein Gegeneffekt sein, dass sich die CDU-Reihen hinter Merkel schließen. Nach dem Motto, jetzt erst recht. Nach Ansicht des Berliner Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer handelt Seehofer vor allem "aus purer Verzweiflung". Eine Scheidung der Ehe mit der CDU sei der letzte Teil seiner Drohkulisse, um beim Koalitionsgipfel etwas zu bewirken. Ob ihm das gelingen wird, wird sich zeigen.

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