„Nur eine Frage der Zeit, wann ein Baby erfriert“

Die Lage in Passau ist angespannt: Seit Tagen strömen tausende Flüchtlinge über die deutsch-österreichische Grenze. CSU-Chef Horst Seehofer droht Kanzlerin Merkel erneut mit dem Bruch der Koalition, sollte sie die Aufnahmekapazitäten des Staates nicht stärker begrenzen.

Die Familien mit ihren kleinen Kindern rücken auf den Folien und Decken ganz nah zusammen. Die Kälte und Feuchtigkeit macht ihnen in der Nacht zu schaffen. Stundenlang warten rund 2500 Flüchtlinge , darunter viele Säuglinge, auf der österreichischen Seite bei Wegscheid auf einer nassen Wiese im Licht der Scheinwerfer. Die Temperaturen auf 700 Metern Höhe liegen in der Nacht zum Donnerstag bei etwa zwei Grad, am Boden sogar darunter. Nebenan fließt ein Bach, der zudem Kälte und Nässe bringt.

"Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das erste Baby hier erfriert", sagt Lothar Venus von der Stabsstelle des Landkreises Passau. Viele der wartenden Menschen müssen lange in der Kälte ausharren. In den vergangenen Tagen waren einige Kinder bereits mit Unterkühlung ins Krankenhaus gebracht worden - einige Mütter hatten ihre Babys zum Schutz vor der Kälte sogar in Kartons gelegt. Das Problem ist, dass es auf deutscher Seite zu wenige Busse gibt, um die Flüchtlinge in die Unterkünfte in Bayern zu bringen.

Allein am Mittwoch kamen dennoch rund 6500 Flüchtlinge im Raum Passau an. Und der Zustrom hielt auch am Donnerstag an, die Bundespolizei rechnete mit einer ebenso hohen Zahl.

Durch die lange Wartezeit in der Kälte besteht zudem die Gefahr, dass sich die Flüchtlinge irgendwann selbst in Bewegung setzen und auf eigene Faust den Weg von Österreich nach Deutschland suchen - ohne Bus. Dabei müssten sie in Wegscheid drei Kilometer an der unbeleuchteten Bundesstraße entlanggehen - bei Dunkelheit eine lebensgefährliche Aktion. Zwei Nächte zuvor hatten bereits 1000 Flüchtlinge die Sperre der deutschen Bundespolizei durchbrochen und hatten sich auf den Weg gemacht.

Dieses Szenario können die Beamten in der Nacht zu Donnerstag vermeiden - auch mit Hilfe eines Unternehmers aus Wegscheid. Kurzfristig räumt dieser eine Werkstatthalle frei und stellt sie als Notquartier zur Verfügung. Ein Bus wird abgestellt und im Pendelverkehr werden 300 Menschen bis kurz nach Mitternacht in die Halle gebracht. Sie haben nach Stunden in der Kälte wenigstens ein Dach über dem Kopf.

An den Wartestellen bekommen die Menschen vom Österreichischen Roten Kreuz Tee, Gemüsesuppe, Zwieback und Obst. Die Decken, die die Helfer bereithalten, nehmen nur die wenigsten Migranten an. Sie haben schlicht Angst, Zeit zu verlieren, wenn sie aus der Schlange der Wartenden treten und sich wieder hinten anstellen müssen. Stunden später bereuen sie dies: Frierend hocken oder schlafen sie auf dem kalten Asphalt. Manche wärmen sich an einem offenen Feuer.

Unverständlich ist nach wie vor, warum die Österreicher die große Zahl an Flüchtlingen erst am Nachmittag und Abend an die Grenze bringen. "Bis zum Mittag ist das alles kein Problem. Aber am späten Nachmittag geht es Schlag auf Schlag. Dabei sind die österreichischen Kollegen genauso überfordert wie wir", sagt Thomas Schweikl von der Bundespolizeiinspektion Freyung.

Donnerstagfrüh werden erst gegen drei Uhr die letzten wartenden Flüchtlinge von den Grenzorten in die Unterkünfte gebracht. "Die Menschen mussten länger in der Kälte ausharren, als uns lieb war", sagt Heinrich Onstein von der Bundespolizei . Die Notquartiere im gesamten Raum Passau sind restlos überfüllt. Erst am Morgen entspannt sich die Lage, die meisten Flüchtlinge sind in die Erstaufnahmeeinrichtungen in ganz Deutschland verteilt oder auf dem Weg dorthin. Und die Helfer und Polizisten bereiten sich auf eine weitere lange, kalte Nacht vor.

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